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Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft Band 54. Heft 1


Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft (ZÄK) 54/1. 2009. 160 Seiten.
2366-0740. eJournal (PDF)
DOI: https://doi.org/10.28937/ZAEK-54-1
EUR 68,00


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Abstracts


Matthias Bickenbach: Die Eigen-Werte der Literatur –Das Erzählen als Formbildungsprozeß in der Autorpoetik Sten Nadolnys


Eine der zentralen Fragen moderner Poetik ist, wie der Werkentstehungsprozeß von kreativer Materialfülle zur ästhetischen Bestimmtheit des Erzählten als autonomem Kunstwerk übergeht. Sten Nadolnys Poetikvorlesung gibt überraschende Einsichten in die Selbstorganisation von Steuerungsbewegungen, die noch unterhalb der Ebene des Schreibens liegen und die als Theorie der Eigenwerte in der Literatur herauszustellen ist.


One of the central questions in modern poetics is, how literary writing proceeds from the creative richness of its material to an aesthetic determination as autonomous art. Sten Nadolnys lectures on his poetics enable an astonishing insight into the selforganisation of operations beyond writing, which can be considered as a theory of self-values in literature.


Kathrin Busch: Subversion des Bildes – Zu den Spuren der surrealistischen Bildauffassung in der französischen Gegenwartsphilosophie


Die weitreichende Bedeutung des Surrealismus für die sogenannte postmoderne Philosophie ist unbestritten. Vermittelt über Autoren wie Bataille oder Artaud konnte die im Surrealismus formulierte Skepsis gegenüber der Vernunft und die Revisionen der Subjekttheorie philosophisch wirksam werden. Daß darüber hinaus auch das Denken des Bildes wesentliche Impulse aus dem Surrealismus erhalten hat, blieb demgegenüber weitestgehend unbeachtet.
Der Aufsatz will die Relevanz der surrealistischen Bildauffassung für die französische Philosophie aufweisen und zeigen, daß es vor allem der pathische oder obsessive Charakter des Bildes ist, den die surrealistische Malerei herausstellt und der in der Diskussion um die Krise der bildlichen Repräsentation einflußreich wird.


It is widely acknowledged that surrealism has had a profound impact on postmodern philosophy. The skepticism that surrealism brought to bear on rationality and its revisionist influence on theories of the subject have been received in philosophical literature through writings such as those of Bataille or Artaud. However, current discourse has largely failed to recognize the wider influence surrealism has exerted on the theoretical study of the image. This essay aims to show the relevance of a surrealistic understanding of the image for contemporary French philosophy, and to argue that it is most of all the substantial contribution surrealist painting has made in pointing up the obsessive character of the image that is in fact a major influence on the debate concerning the crisis of and in pictorial representation.


Sabine Gebhardt-Fink: Ambient in Kunst, Musik und Theater


In performativen künstlerischen Projekten der Ambient Art werden Raum und Körper neu erzeugt. Diese These verdeutliche ich mit Beispielen aus den Bereichen Musik, Theater und Kunst, die das transdisziplinäre Phänomen Ambient als komplexe mediale Struktur erklären. Des Weiteren gehe ich vom Modell des gelebten Raums aus, um auszuführen, wie der Ort eines künstlerischen Projekts die Art und Weise der Verkörperungen seiner Teilnehmer definiert. Umgekehrt wird deutlich, daß die immersive ästhetische Erfahrung von Ambient erst Präsenz und Raum konstituiert.


During performative artistic projects in Ambient Art, both space and structures of embodiment are constituted. I illustrate this thesis with examples of performative works in music, theatre and art, in order to analyze the transdisciplinary phenomenon of Ambient Art as a complex structure. My point of departure is a model of lived space in which the bodily enactment in the performative artwork produces place and, vice versa, the place of the artwork determines the active body as an immersive aesthetic experience.


Julia Genz: Flüchtig oder dauerhaft? Materialität und Medialität der Schrift am Beispiel von E.T.A. Hoffmanns Lebens-Ansichten des Katers Murr


Mein Artikel thematisiert die Bedeutung der Materialität von Sprache und Schrift für das Verständnis von Literatur und untersucht das Zusammenspiel von Materialität und Medialität unter poetischen Aspekten. Anhand von E.T.A. Hoffmanns Lebens-Ansichten des Katers Murr wird exemplarisch gezeigt, wie Literatur durch neue Schreibverfahren auf technische Umwälzungen in der Bücherproduktion und auf damit zusammenhängende juristische Debatten antwortet. Hoffmanns Roman wird als intertextuelle Auseinandersetzung mit Johann Gottlieb Fichtes Beweis der Unrechtmäßigkeit des Büchernachdrucks gelesen, der die juristische Diskussion über geistiges und materielles Eigentum um 1800 maßgeblich bestimmte. Hoffmann differenziert Fichtes Vorschlag über materielle und mediale Anteile am Eigentum aus und entwickelt aus dem Zusammenspiel von Materialität und Medialität ein neues Schreibverfahren.


This article points out the significance of the materiality of written language for the understanding of literature and aspects of poiesis. For this purpose it is necessary to consider the interaction of materiality and mediality from a general point of view. Reading E.T.A. Hoffmann’s novel „Lebens-Ansichten des Katers Murr“ (The Life and Opinions of the Tomcat Murr), this paper explores how literature reacts to technical changes in the production of books and subsequent juridical debates. I read the novel as an intertextual play in reaction to an article by Johann Gottlieb Fichte on literary property („Beweis der Unrechtmäßigkeit des Büchernachdrucks“). In trying to work through Fichte’s proposals concerning materiality and mediality, Hoffmann generates a new style of writing.


Joachim Harst: Geköpfte Namen – „Reine Gewalt“ bei Kleist und Benjamin


Der Aufsatz verknüpft eine Lektüre von Kleists Verlobung in St. Domingo mit Benjamins Zur Kritik der Gewalt. Ausgehend von der Problematik sprachlicher Immanentisierung, die Kleists Text vollzieht, wird mit Benjamin die Frage gestellt, inwiefern eine bestimmte ›reine Gewalt‹ diese Immanenz brüchig werden lassen kann und von Kleist als solche auf einer sprachlichen Ebene eingesetzt wird.


Reading Kleist’s Verlobung in St. Domingo“ and Benjamin’s „Zur Kritik der Gewalt“, this paper proceeds from the novel’s problematic of immanence and violence to Benjamin’s question, whether violence has a linguistic structure – and whether ›pure‹ or ›divine violence‹ can rupture immanence. In this sense, Benjamin’s ›violence‹ leads back to Kleist’s and to an analysis of both as transcending effects of language.


Hermann Pfütze: (Rück)wege der Avantgarden in die Gesellschaft


Avantgarden sind zugleich Elemente gesellschaftlicher Stabilität. Denn sie trauen den Verhältnissen, die sie ändern wollen. Das ist ihr, so Adorno, „Doppelcharakter“ aus ästhetischer Autonomie und sozialer Tatsache, der den Zwiespalt zwischen elitärer Publikumsdistanz um der Autonomie willen und Publikumsnähe um des politischem und ästhetischen Engagements willen stets erneuert. Schönbergs Forderung nach Bildung, geistiger Beweglichkeit und individueller Neugier der Künstler und des Publikums ist eine gesellschaftliche Begründung der Avantgardekunst, die sie bis heute stärkt, während ihre Skandale, Verweigerungsgesten und Provokationen sie schwächen.


Paradoxically, avant-gardes are elements of social stability, because they trust in what they want to change, according to their „double character“ of aesthetic autonomy and social fact (Adorno). The avant-gardistic conflict between élite distance from the public for the sake of autonomy and egalitarian popularity for the sake of political or aesthetic commitment is therefore always being renewed. Schönberg’s demand for education, mental mobility and individual curiosity for the artists and the public as well, is a social argument that always has strengthened avant-garde-arts, while scandals, scorns and provocations weaken them.


Robin Rehm: Kontrast und Wissen – Kasimir Malewitschs suprematistische Formenmotive und die Wissenschaft.


Kasimir Malewitschs suprematistische Hauptwerke ›Schwarzes Quadrat‹, ›Schwarzer Kreis‹ und ›Schwarzes Kreuz‹ von 1915 setzen sich aus schwarzen Formen auf weißem Grund zusammen. Der Typus des Schwarzweißbildes weist überraschende Parallelen zu den bildlichen Wahrnehmungsinstrumenten auf, die vom ausgehenden 18. bis Anfang des 20. Jahrhunderts in den Experimenten der Farbenlehre, physiologischen Optik und Psychologie verwendet worden sind. Die vorliegende Studie untersucht diese Parallelen in drei Schritten: Zunächst erfolgt eine allgemeine Charakterisierung des Schwarzweißbildes mit Hilfe des Kontrastbegriffs von Edmund Husserl. Des Weiteren wird die Entstehung und Funktion des schwarzweißen Kontrastbildes in den Wissenschaften des 19. Jahrhunderts typologisch herausgearbeitet. Unter Berücksichtigung des Wissensbegriffs von Max Scheler wird abschließend die Spezifik des Wissens eruiert, das die Schwarzweißbilder sowohl in der Malerei Malewitschs als auch in den genannten Wissenschaften generieren.


Malevich’s main Suprematist works, such as ›Black Square‹, ›Black Circle‹, and ›Black Cross‹ from 1915, consist of black shapes on white ground. Surprisingly this series of shapes strongly resembles scientific black-and-white images used for research on colour theory, physiological optics, and psychology throughout the 19th century. This paper examines the parallels between Malevich’s paintings and the scientific drawings in three steps: It first characterizes black-and-white images in general, using Edmund Husserl’s definition of the term ›contrast‹. Secondly, the paper investigates the development and function of black-and-white images as tools of perception in the sciences. It finally discusses the specific knowledge generated through Malevich’s art and through scientific black-and-white images, following Max Scheler’s phenomenological identification of knowledge.