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Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft Band 58. Heft 1


Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft (ZÄK) 58/1. 2013. 166 Seiten.
2366-0740. eJournal (PDF)
DOI: https://doi.org/10.28937/ZAEK-58-1
EUR 68,00


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ABSTRACTS

Bernadette Collenberg-Plotnikov: ›Zoologen und Physiker als die berufensten Forscher in Sachen der Aesthetik‹? – Zur Bestimmung der experimentellen Ästhetik in der Allgemeinen Kunstwissenschaft


Bei dem Anliegen der Grundlegung einer zeitgemäßen Kunstwissenschaft, das die Forscher um M. Dessoir verbindet, kommt der Auseinandersetzung mit der experimentellen Ästhetik G. Th. Fechners eine zentrale Rolle zu. So werden die antimetaphysische Haltung und die Phänomennähe dieses Ansatzes, der dezidiert die Position des ästhetischen Subjekts in den Blick nimmt, begrüßt. Allerdings bemängelt man zugleich, dass dies um den Preis der Vernachlässigung des ästhetischen Objekts geschieht, wie es vor allem K. Fiedler in erkenntnistheoretischer Absicht thematisiert hatte. Umkehrt betrachtet man es an Fiedlers Objektivismus als problematisch, dass hier die Subjektivität des Rezipienten und des Künstlers programmatisch ausgeblendet bleibt. Neben Dessoir entwickeln daher u.a. E. Utitz, M. Geiger und E.W ind sehr unterschiedliche Ansätze, die das gemeinsame Ziel verbindet, beide Aspekte als komplementären Zusammenhang zu thematisieren.

G.Th. Fechner’s experimental aesthetics plays a crucial role in the modern theory of art, which the researchers around M. Dessoir develop at the beginning of the 20th century. In Fechner’s approach, which decidedly focuses on the position of the aesthetic subject, they especially appreciate the anti-metaphysical attitude as well as its closeness to the aesthetic phenomenon. However, they complain that this is done at the cost of neglecting the aesthetic object addressed paradigmatically by K. Fiedler in a primarily epistemological intention. Nonetheless, Dessoir and his circle criticise Fiedler’s objectivism for its programmatic ignorance of the recipient’s as well as the artist’s subjectivity. Thus, not only Dessoir, but p.e. also E.Utitz, M. Geiger, and E.Wind propose quite different approaches to art theory, sharing the intention to understand the aesthetic subject and object as complementary parts of a whole.

Bernhard Greiner: Evidenz des Dionysos-Mythos als Begründung der Tragödie – Die Vision der Tragödienschrift Nietzsches und deren Erfüllung in Hofmannsthals Elektra

Der Beitrag unternimmt eine neue Lektüre der Tragödienschrift Nietzsches mit Blick auf deren doppelte Leistung – den Dionysos-Mythos neu zu vergegenwärtigen und den Ursprung der Tragödie vor Augen zu stellen –, deren Zusammenhang bisher wenig befragt wurde. Als Mythenbildner (nicht als Wissenschaftler des Mythos) stellt Nietzsche den Dionysos-Mythos in einer neuen Weise vor, die ihm den Ursprung der Tragödie freizulegen erlaubt. Gegenläufig führt ihn die Bestimmung des Ursprungs der Tragödie zu einer Konstellation, die dem Dionysos-Mythos neue Gegenwart verleiht. Die neue Präsenz dieses Mythos wie den Ursprung der Tragödie denkt Nietzsche dabei als eine spezifische Zusammenführung des Dionysischen und des Apollinischen: nicht als apollinische Bändigung oder Sublimierung des Dionysischen, auch nicht als dialektische Vermittlung, vielmehr als Ergriffen-Werden des Apollinischen durch das Dionysische, das auf der Schwelle verharrt, in Absprung zu und Aufschub neuer, umfassender dionysischer Entgrenzung. Generiert werde derart, so Nietzsche, ein ›Schauen und Sehnen über das Schauen hinaus‹, worin die spezifische Evidenz des Dionysos-Mythos in der Perspektive der Tragödie und vice versa zu erkennen sind. Als eine dramatische Erfüllung dieser Vision der Tragödienschrift wird Hofmannsthals Tragödie Elektra aufgezeigt.

The article undertakes a rereading of Nietzsche’s Birth of Tragedy with a focus on its two central achievements – reviving the Dionysus myth and making the origin of tragedy evident – whose mutual interrelatedness has attracted only sparse critical attention to date. Working more as a myth-maker than a theorist, Nietzsche advances a groundbreaking portrayal of the story of Dionysus that allows him to lay bare the origins of tragedy. Simultaneously, his identification of tragedy’s ultimate source suggests a configuration that lends the Dionysus myth new currency. In so doing, Nietzsche conceives the manifest presence of this myth – as well as that of the origins of tragedy – as a specific recombination of the Dionysian and the Apollonian: not as an Apollonian taming or sublimation of the Dionysian, nor yet as dialectical mediation, but rather as the Apollonian’s seizure by the Dionysian, which teeters on the threshold between lurching toward and postponing a new, more comprehensively Dionysian loss of boundaries. In this way, Nietzsche suggests, there is generated a »Schauen und Sehnen über das Schauen hinaus,« a mode of viewing amplified by longing, through which the specific form of the Dionysus myth from the perspective of tragedy and conversely of tragedy from the perspective of myth becomes apparent. The fulfillment of Nietzsche’s vision in dramatic art is here exemplified by Hofmannsthal’s Elektra.

Christian Grüny: Übergangsobjekte – Kunsttheoretische Überlegungen

Der Text mobilisiert Paul Valérys Motiv der »weißen Sache«, die der junge Sokrates am Strand findet, als paradigmatische Figur für die Objekte der Kunst, die er als Übergangsobjekte rekonstruiert. Ansatzpunkt ist Donald Winnicotts psychoanalytische Theorie der Übergangsobjekte, die von einer Unentscheidbarkeit in Bezug auf den Status jener Objekte als innen oder außen, real oder imaginär ausgeht. Damit ist weder eine Fixierung auf »Werke« noch ihre theoretische oder praktische Verabschiedung präjudiziert. Die Übergängigkeit der Kunst wird durch unterschiedliche Dimensionen verfolgt, von ihrer Realisierung in der Rezeption über den Übergang von Simultaneität und Sukzessivität, die untilgbaren Bezüge der Sache zu anderen künstlerischen und außerkünstlerischen Sphären und die Verfransung unterschiedlicher Kunstgattungen bis hin zur ausdrücklichen Intervention in außerkünstlerische Zusammenhänge. Schließlich wird das Motiv der Unentscheidbarkeit mit Kant und Valéry bis zur Differenz von Kultur und Natur weitergetrieben.

The essay draws on Paul Valéry’s motif of the »white thing« young Socrates finds on the beach, taking it as a paradigmatic description of the objects of art. It conceptualizes these as transitory objects in the sense of Donald Winnicott’s psychoanalytic theory which stresses their undecidability concerning their status as being inside or outside, real or imaginary. This does not entail a fixation on works nor their – theoretical or practical – rejection. The transitoriness of art is pursued from its realization within reception through the transition between simultaneity and succession, the objects’ indeletable relations to other spheres within and outside the world of art, and the blurring of borders between different art genres, eventually turning to explicit interventions into other contexts. Finally, undecidability is posited even concerning the difference between culture and nature.

René Thun: Was macht der Realist in der Galerie? – Bemerkungen zur metaphorischen Verwendung des Gelingensprädikats im ästhetischen Diskurs

Unserer Wertschätzung von Kunstwerken verleihen wir nicht selten dadurch Ausdruck, dass wir diese als gelungen bezeichnen. Problematisch ist die Zuschreibung des Gelungenheitsprädikats, insofern die Kriterien dafür nicht auf rein deskriptiven Eigenschaften, sondern auf möglichen Zuschreibungen beruhen. Für einen ästhetischen Realisten ergeben sich Probleme hinsichtlich der Feststellbarkeit der Gelungenheit eines Kunstwerkes sowie der Geltung des Urteils, da diese Zuschreibung vor dem Hintergrund einer kommunikativ verankerten ästhetischen Akzeptierbarkeit stattfindet.

Our estimation of art works we sometimes express by calling them felicitous. This ascription is problematic since the criteria are not governed by descriptive properties but by possible ascriptions. Thus, some problems result for an aesthetic realist concerning the provability of an artwork’s felicitousness and the validity of this judgement. An artwork’s status as a felicitous one depends not only on descriptive criteria with cognitive force to agree with this judgement. Rather, this ascription takes place on a background of a communicatively anchored aesthetical acceptance.

Boris Voigt: Musikästhetik für den Homo oeconomicus – Adam Smith über Gefühle, Markt und Musik

Autonome Musik ist nur als Ware denkbar. Diese treffende Einsicht liegt bereits der Musikästhetik Adam Smiths zugrunde, darf jedoch nicht missverstanden werden als ein auf die Musik gerichteter ökonomischer Determinismus. Vielmehr unterliegt Smiths ökonomische Theorie selbst in hohem Maße einer Ästhetisierung. Beide Ebenen, Ästhetik und Ökonomie, sind strukturell aneinander gekoppelt. Besonders deutlich wird dies an Smiths musikästhetischen Überlegungen. Er unterscheidet strikt zwischen Vokal- und Instrumentalmusik, wobei die Vokalmusik durch die Kommunikation von Sympathierelationen charakterisiert ist, während die Instrumentalmusik lediglich sich selbst kommuniziert, also autonom ist und damit der Denkfigur der unsichtbaren Hand entspricht, die in der Instrumentalmusik tatsächlich ihren präzisesten Ausdruck findet.

Autonomous music is conceivable only as a commodity. This striking insight is already underlying Adam Smith’s aesthetics of music, but it should not be misunderstood as an economic determinism on music. Rather, Smith’s economic theory itself is subject of aestheticisation. Both levels, aesthetics and economics, are structurally coupled. This is particularly evident in Smith’s musical-aesthetic considerations. He distinguishes clearly between vocal and instrumental music. While vocal music is characterised by the communication of relations of sympathy, instrumental music communicates only itself and is therefore autonomous. Thus it corresponds to the figure of the invisible hand, which actually has its most precise expression in instrumental music.

Dirk Westerkamp: Der dramatische Moment – Fünf Reflexionen über ikonische Prägnanz

Ikonische Prägnanz meint die Verdichtung von Zeit- und Handlungsebenen im Bild. Der Begriff verbindet Überlegungen Cassirers zur symbolischen Prägnanz mit Lessings ikonologischer Bestimmung des »prägnantensten Augenblicks«. Überprüft werden soll dieses umstrittene Konzept, das sich primär auf vormoderne Bildwerke richtet, an vier ausgewählten Gegenständen, die zugleich unterschiedliche Zeitverhältnisse reflektieren: die Entzeitlichung von Gegenwart, die Darstellung der Allgegenwart zeitlicher Vorgänge, das Verschwinden des Augenblicks in der Zeit und der Zusammenfall von historischer Zeit, Betrachtungszeit und Bildzeit.

The term »iconic pregnance« is coined to describe images within which diverse layers of time and action coincide. It brings together Cassirer’s account of »symbolic pregnance« with Lessings iconological conception of the »most pregnant moment«. This still controversial concept, which primarily adresses premodern imagery, will be examined in view of four diff erent sujets which at the same time reflect different time-relations: the detemporalisation of presence, the ubiquity of temporal conditions, the disappearance of the moment in time, and finally the synthesis of historical, receptive, and pictorial time.