ABSTRACTS
Alexander Becker: Bildliche Darstellung und die Simulation der Wahrnehmung
Thema des Aufsatzes ist ein neuer Vorschlag zur Erklärung der bildlichen Darstellung. Der Vorschlag geht aus von phänomenologischen Bildtheorien, denen zufolge Bilder primär etwas sichtbar machen. Diese Sichtbarmachung wird als eine Leistung des Imaginationsvermögens gedeutet, die Imagination wiederum als Leistung des Vermögens zur Simulation im kognitionspsychologischen Sinne der partiellen Wiederholung von Prozessen, nicht der Imitation von Resultaten. Die bildliche Darstellung besteht dann darin, dass ein Bild mit bildlichen Mitteln die Wahrnehmung des Dargestellten simuliert; Bilder sind Anlass und Anleitung zu einer solchen Simulation. Entscheidend hierbei ist der Zusatz »mit bildlichen Mitteln«. Die bildgestützte Simulation unterliegt anderen Bedingungen als die Wahrnehmung und die Imagination; daher werden die Wahrnehmungsprozesse nicht einfach kopiert, sondern unter anderen Voraussetzungen neu aufgebaut. Genauso gut können sie aber auch modifiziert und variiert werden. Dabei spielt die Materialität des Bildes eine entscheidende Rolle, denn die materiellen Bedingungen des Bildes – beispielsweise sein Rahmen und seine Flächigkeit – sind weniger Beschränkungen der Darstellung als vielmehr Werkzeuge, um in der Simulation die Wahrnehmungsprozesse neu zu gestalten.
The paper presents a new proposal how to explain pictorial representation. Starting point is the phenomenological idea that pictures, in the first place, make something visible (instead of being a sign of something). Making something visible is taken as an achievement of the faculty of imagination, and the faculty of imagination in turn is taken to be a variety of our faculty to simulate (referring here to the concept of simulation as it is used in contemporary cognitive psychology, according to which the ability to simulate e.g. other minds is the ability to reenact somebody else’s cognitive processes). Taken together, these pieces come down to the claim that pictorial representation of some x is simulating the perception of x with pictorial means; pictures prompt and guide such a simulation. Crucial is the addition »with pictorial means«. Picture-based simulation has constraints, which differ from those of perception and imagination. Therefore, in picture-based simulation perceptual processes are not simply copied but re-modeled and open to modification. The primary means of such modification are provided by the properties of pictures as material objects, such as their having a frame which encloses a two-dimensional surface. Therefore, being a material object promotes and shapes pictorial representation, instead of hampering it.
Rachel Esner: Presence in Absence – The Empty Studio as Self-Portrait
Seit der Epoche der Romantik bringen viele der Diskurse, die künstlerische Kreativität betreffen, den Künstler und seinen Arbeitsraum zusammen: Die Werkstatt wird als ein Spiegel des Künstlers und seines Werks angesehen, als ein Heiligtum, ein sozialer Raum oder eine Ausstellungsfläche. Ein populärer bildlicher Topos der Zeit war die Darstellung des leeren Ateliers. Der vorliegende Beitrag versteht das Bild des leeren Ateliers im 19. Jahrhundert als ein Selbstporträt des Künstlers. Er untersucht, wie die Darstellung des Raums und seiner Objekte dem Gemälde die Präsenz des Künstlers einschreiben und sein bzw. ihr künstlerisches Selbstverständnis innerhalb der sich verändernden künstlerischen und sozialen Strukturen der Epoche wiedergeben.
From the Romantic era onward, many of the discourses surrounding artistic creativity have merged the artist and his working space: the place of work is viewed as the mirror of the man and his oeuvre, a sanctuary, a social or an exhibition space. A popular topos in this context was the view of the empty studio. This paper explores the 19th-century empty studio image as a self-portrait of the artist. It examines how the depictions of the space and its objects work to inscribe the artist’s presence, and to express his or her artistic self-conception and identity within the changing artistic-social structures of the period.
Patrícia Esquível: Art Narratives and Globalization
Arthur Danto proklamierte das »Ende der Kunst«, d. h. das Ende der auf ein Narrativ und auf eine unidirektionale Grundlage basierenden Kunstgeschichte. In der zeitgenössischen Kunstwelt und besonders in der Historiographie hingegen findet man durchaus ein Telos. Dieses Telos ist die Globalisierung. Es gibt heute ein sich ausbreitendes unidirektionales Narrativ, dessen Regel als »Netzwerklegitimation« erklärt werden kann. Ein Netzwerk, dessen Ausmaß (mehr Regionen der Welt), Sättigung (mehr Objekte) und Historizität (umfassendere Entwicklungsketten) zunehmen. Das Netzwerk hat auch einen Mittelpunkt, den Westen, wenn auch nicht für immer.
Arthur Danto proclaimed the »end of art«, that is, the end of the history of art structured on a narrative and unidirectional basis. But in contrast to Danto’s ideas, we detect a telos in the contemporary art world, especially in historiography. This telos is globalisation. At present, we have a clearly expansive unidirectional narrative in which the norm can be summed up as »network legitimation.« A network that is growing in extent (more regions of the world), saturation (more objects) and historicity ( further-ranging chains of development). The network also has a centre, the West, although it may not last forever.
Julian Hanich und Winfried Menninghaus: Im Wechselbad der Gefühle. Zur Emotionsvielfalt im filmischen Melodram – Eine Mikroanalyse
In diesem Aufsatz untersuchen wir die erstaunliche Emotionsvielfalt des filmischen Melodrams. Mithilfe einer detaillierten Analyse einer tief bewegenden Szene aus dem Film 21 Grams von Alejandro Gonzáles Iñárritu versuchen wir, einem verkürzten Verständnis der emotionalen Wirkung dieses Genres entgegenzutreten. Melodramen lassen sich nicht auf Traurigkeit oder Mitleid reduzieren; sie gehen nicht auf in Tränenseligkeit. Vielmehr rühren die bewegenden Effekte des Melodrams gerade daher, dass es seine Betrachter in ein Wechselbad sehr unterschiedlicher Gefühle zu stürzen versteht.
In this article we investigate the astonishing variety of emotions evoked by filmic melodramas. Closely analyzing a deeply moving scene from Alejandro Gonzáles Grams, we criticize the limited view of the emotional effects of this genre. We show that melodramas elicit more than just sadness or pity; they cannot be reduced to their tear-jerking potential. Melodramas move their viewers precisely because they send them on a rollercoaster ride with ups and downs of very different emotions.
Maria Muhle: Reenactments der Macht – Überlegungen zu einer medialen Historiographie
Der Text stellt Überlegungen zu einer medialen Historiographie an, d. h. zu einer Geschichtsschreibung, an der die Medien, in diesem Fall die Bilder, mitschreiben. Besondere Aufmerksamkeit gilt den Strategien des Reenactments, die traditionellerweise als Mittel einer ereignisorientierten Geschichtsschreibung verhandelt werden. In letzter Zeit gibt es in zeitgenössischen Kunstformen jedoch eine starke Auseinandersetzung mit diesen Strategien, die darauf abzielt, eine solche totale oder globale Geschichtsschreibung zugunsten einer fragmentarischen und kritischen Sicht zu hinterfragen. Ausgehend von Michel Foucaults methodologischen Überlegungen zur Geschichte in der Archäologie des Wissens untersucht der Text unterschiedliche Formen einer Geschichtspolitik der Bilder anhand von drei Reenactment-Beispielen aus Film, Theater und der Bildenden Kunst
The text considers the possibility of a mediatic historiography, that is, a form of historiographic writing in which the media, in this case images, participate. The central object of investigation is the strategy of reenactment that is traditionally regarded as a means of eventorientated historiography. Contemporary art has recently questioned these strategies and proposed to replace the totalizing or globalizing approach of history and historiography with a more fragmentary and critical perspective. On the backdrop of Michel Foucault’s methodological reflections on history that he develops in Archeology of Knowledge, the text analyzes different forms of a politics of history of the images through three examples of reenactment taken from film, theatre and the fine arts.
Stefan W. Schmidt: »… eine kleine Reise in das Land der besseren Erkenntnis«
Paul Klee und der Begriff des bildnerischen Denkens Paul Klees Bedeutung im Bereich der Malerei ist unbestritten. Der Artikel versucht seine kunstpädagogischen Schriften, die überwiegend zur Zeit seiner Bauhauslehrtätigkeit entstanden sind, als einen Beitrag im Rahmen der Kunstwissenschaft ernst zu nehmen und sie als kunsttheoretische Schriften philosophisch fruchtbar zu machen. Dies geschieht in drei Schritten anhand der Begriffe des bildnerischen Denkens und der ästhetischen Erkenntnis. Im ersten Teil wird das bildnerische Denken anhand der Analyse der kunstpädagogischen Texte Klees als ein ästhetischer Erkenntnisprozess herausgearbeitet. Im zweiten werden die Betrachtungen zum bildnerischen Denken über Klee hinaus auf die Problematik moderner bzw. zeitgenössischer Kunst ausgedehnt. Im letzten Teil werden dann die Ergebnisse exemplarisch an zwei Bildern Klees ausgewiesen.
Paul Klee’s significance for painting is undisputed. This article argues that Klee’s theoretical writings, especially those written during his time at the Bauhaus, present a seminal contribution to aesthetics. The argument will proceed in three steps, using the notions of generative thinking and aesthetic cognition: First, the notion of generative thinking will be outlined as a process of aesthetic cognition on the basis of an analysis of Klee’s theoretical writings. The second step extends the inquiry beyond Klee and considers problems of contemporary art. Finally, the results will be established by discussing two exemplary paintings by Klee.
Tasos Zembylas: Epistemologie der künstlerischen Praxis
Der künstlerische Schaffensprozess repräsentiert ein Forschungsthema, das vielfältige theoretische und methodische Herausforderungen in sich birgt. So stellt sich zum Beispiel die Frage nach der epistemischen Dimension des künstlerischen Schaffens und ob die philosophische Untersuchung von Schaffensprozessen eine spezielle Wissenstheorie verlangt, die über die klassische Erkenntnistheorie hinausgeht. Im vorliegenden Beitrag werden beide Fragen positiv beantwortet. Zugleich wird argumentiert, dass die philosophische Untersuchung eine rein begrifflich-theoretische Ebene überschreiten muss, weil die konkreten Schaffensprozesse auf diskrete Aspekte des Tuns hinweisen, die theoretisch anspruchsvoll sind. Daher ist die Auseinandersetzung mit methodischen Ansätzen unumgänglich, wenn es um eine Annäherung an die künstlerische Praxis geht. Sowohl die theoretischen als auch die forschungspraktischen Probleme zwingen also die Ästhetik zu einer stärkeren Verschränkung mit den empirischen Sozialwissenschaften und der Praxistheorie.
The process of artistic creation represents a research subject that involves diverse theoretical and methodological challenges. Thus, for example, the question of the epistemological dimension of artistic creation poses itself and of whether philosophical investigation of the processes of creation demands a special epistemology that goes beyond the classical theory of knowledge. In this article both questions are answered in the positive. At the same time it is argued that the philosophical investigation must go beyond a purely conceptual and theoretical level, because the concrete processes of creation point to discrete aspects of activity that are theoretically demanding. For this reason an analysis of methodological approaches is essential where it concerns an approach to the artistic praxis. Both the theoretical and the practical research problems thus compell aesthetics to a closer interleaving with empirical social science and the theory of practice.