Abstracts
Joachim Küpper: Einige Überlegungen zu Musik und Sprache
Der Artikel nimmt die vieldiskutierte Frage des Verhältnisses von absoluter Musik und Sprache auf. Einleitend setzt er sich mit den beiden gängigen Thesen der Forschung: Musik habe keine Bedeutung, oder aber Musik habe eine Bedeutung analog der der Sprache, kritisch auseinander. In einem zweiten Schritt wird gezeigt, daß die Prozesse der Semantisierung absoluter Musik im Prinzip den Prozessen ähnlich sind, vermittels deren wir sprachlichen Lauten bestimmte Bedeutungen zuweisen. In einem weiteren Schritt indes wird die These entwickelt, daß die Struktur von Musiklaut-Verknüpfungen und von Sprachlaut-Verknüpfungen unterschiedlichen Prinzipien folgt und auf diese Weise die Bedeutung von Sprachlauten immer eine wesentlich andere ist als die von Musiklauten. Abschließend wird aus Sicht dieser These die besondere Musik-Affinität der poetischen Sprache neu begründet.
The article resumes the discussion on the relation of absolute music and language. Firstly, a critical look is taken at the two current theses: that music bears no meaning, or rather, that music is meaningful analogue to language. The second step describes the concept that processes conferring meaning upon music do not differ from corresponding processes regarding language. In a further step, however, the case is made that the structure of sound concatenations follows different principles concerning music on the one hand and language on the other, so that ›meaning‹ should be considered as a separate category with regard to music and language. Finally, the article tries to shed a new light on the particular affinity of the language of poetry to music.
Renate Schlesier: Platons Erfindung des wahnsinnigen Dichters. Ekstasis und Enthusiasmos als poetisch-religiöse Erfahrung
Die Charakterisierung des Dichtungsakts als eines Zustands von Vernunftlosigkeit und Ekstasis ist nicht, wie Platon (gefolgt von vielen Interpreten bis heute) behauptet, eine uralte – angeblich auch bei den früheren Dichtern dokumentierte – antike griechische Tradition, sondern eine Erfindung Platons. Dazu gehört auch die Gleichsetzung dichterischer Inspiration mit göttlicher Besessenheit, die Platon als erster vollzieht. Platons subversive Erfindung des wahnsinnigen Dichters steht im Dienst seines Modells des Philosophen, der wie der Dichter über Enthusiasmos verfüge, aber anders als dieser auch über Intellektualität.
The characterization of the poetic act as a state of irrationality and ecstasis does not, as Plato pretends (followed by many interpreters until today), correspond to the oldest ancient Greek tradition – allegedly documented by the earlier poets as well –, but is Plato’s invention. As part of this invention Plato identifies for the first time in history poetical inspiration with divine possession. Plato’s subversive invention of the mad poet is the basis for his model of the philosopher who himself shall dispose of enthusiasm, as the poet does, but who shall moreover dispose of intellectuality.
Markus Edler: Germanisches Karaoke. Zum inspirierten Ursprung der englischen Literatur
In seiner Historia ecclesiastica führt Beda Venerabilis den Beginn der englischen Literaturgeschichte und die Berufung des ersten englischsprachigen Dichters im Kontext einer Inspirationsszene vor. Der Aufsatz erklärt den verblüffenden Umstand, daß Beda statt des ursprünglichen Wortlauts eine lateinische Paraphrase des Gedichts wiedergibt, mit dem Bemühen Bedas, die nichtchristlichen Implikationen der Inspiration zurückzudrängen und die Semantik volkssprachiger Dichtung zu christianisieren.
In his ›Historia ecclesiastica‹, Beda Venerabilis presents the origins of English literary history and the vocation of the first English poet within the context of non-Christian inspiration. The article argues that the irritating fact that Beda omits the original wording of the first Old English poem and gives a Latin paraphrase instead, is part of a strategy to defy the pagan implications of inspiration and to christianize the semantics of vernacular poetry.
Martin Vöhler: Exploration statt Inspiration. Hölderlins Bestimmung des Dichterberufs in der ›Feiertagshymne‹
Hymnische Dichtung bedarf der Inspiration. Hölderlin differenziert in seiner Feiertagshymne verschiedene Geschichtssituationen (Nacht, Dämmerung, Feiertag), Grade (Mangel, Gunst, Überwältigung) und Darstellungsweisen der Begeisterung. In die poetologische Reflexion werden auch Mittlerfiguren (Semele, Dionysos, Christus) und Vorbilder (Pindar, Klopstock) einbezogen. Das Gedicht wendet sich von der eschatologischen Inspiration ab und entwirft im Eingangsgleichnis den Gestus der Exploration, dem die Gesänge des Spätwerks folgen. Für diese ist es von grundlegender Bedeutung.
Hymnic poetry needs inspiration. In the ›Feiertagshymne‹, Hölderlin differentiates several historical stages (night, dawn, holiday), degrees (deficiency, favour, rapture) and representations of inspiration or enthusiasm. The poetological reflexion includes mediating figures (Semele, Dionysos, Christus) and models (Pindar, Klopstock). While the poem turns away from eschatological inspiration it projects, by the simile at the beginning, a gesture of exploration which is followed up later by Hölderlin’s last hymns. For those this poem is of fundamental significance.
Maria Moog-Grünewald: Eidos / Idea / Enthousiasmos. Charles Baudelaires konspirative Subversion platonischer Dichtungstheorie
Baudelaires Poetologie wurzelt im Verständnis von Inspiration als einem Ausdruck der Reflexion und formuliert hierin – gegen den Anspruch des Idealismus – die Grundlinien moderner Ästhetik. Zugleich knüpft sie hierbei an eine erkenntnistheoretische Tradition an, in welcher der Enthousiasmos als subjektive Kraft des Verstandes nicht allein der Idea sich ›anzugleichen‹ intendiert, vielmehr beansprucht, dieser eigenschöpferisch Gestalt zu geben. Vorgezeichnet finden wir diese Gedankenfigur im Neuplatonismus, respektive in dessen neuzeitlicher Aufbereitung in Brunos Eroici furori, die dem Intellekt als einer ›unendlichen Bewegung‹ metaphysische Qualitäten zusprechen, insofern diese Bewegung nicht mehr auf die Erkenntnis des Intelligiblen gerichtet ist, sondern das Intelligible selbst hervorbringt.
As Baudelaire’s poetics are founded in an understanding of inspiration as an expression of reflexion, they coin the fundamentals of modern aesthetics. In another perspective, these poetics are linked to an epistemological tradition, in which ›enthousiasmos‹ as the subjective capacity of mind does not only intend to assimilate itself to the idea, but claims to give form to the idea by its own creativity. The preforms of this thought might be found in Neo-Platonism, respectively in its early modern remodelling in Bruno’s ›Eroici Furori‹ that award metaphysical qualities to the intellect as an ›infinite movement‹, taking in account that this movement does no longer target the cognition of intelligibility, but produces intelligibility by itself.
Jean Bollack: Die Dichtung und die Religion. Zu Mallarmés ›Toast funébre‹
Dem Gedenken an den verstorbenen Dichter Théophile Gautier gibt Mallarmé in seinem Gedicht Toast funébre eine Form, in der die religiöse Praxis programmatisch und in strenger Antithese der Kunst des Wortes gegenübergestellt wird. Der Verzicht auf das eine bedingt das Gelingen des anderen. Die Religion besteht aus leeren Formen; ein Spiel mit Schemen führt das Jenseits in kosmischen Kulissen ad absurdum. Die Sprache eröffnet den Raum einer innerweltlichen Transzendenz, die sich auf dem Boden eines kathartischen Atheismus in der artistischen Moderne erfüllt.
In his poem ›Toast funébre‹, Mallarmé gives a form to the commemoration of the dead poet Théophile Gautier by confronting the religious practice with the art of the word in a programmatic and strictly antithetic manner. To renounce the former implies to achieve the latter. Religion consists of empty forms; a play with phantoms shows, in the realm of cosmic wings, the absurdity of the beyond. Language opens a sphere for innerwordly transcendency which is accomplished in artistic modernity on the basis of cathartic atheism.
Renate Schlesier: Kreation und Zeit. Proust über Inspiration
Das Inspirationskonzept ist für Prousts selbstreflexive Bestimmung künstlerischer Produktion von zentraler Bedeutung (dies läßt sich durch eine Analyse von Textstellen sowohl aus dem letzten Teil von Prousts Recherche als auch aus dem Kontext von Jean Santeuil und Contre Sainte-Beuve zeigen). Prousts spezifische Bestimmung der Inspiration als etwas, das auf intellektuelle Arbeit nicht verzichten kann, unterminiert jedoch antiintellektualistische platonische Dichtungslehren. Dies impliziert zudem, daß Proust die Kluft zwischen Künstlern und Nicht-Künstlern für unüberbrückbar erklärt. Inspiration ist für Proust etwas Verzauberndes, weil sie wiedergefundene Zeit ist, die jedoch erst im poetischen Kreationsprozeß Gestalt gewinnt.
The concept of inspiration occupies a central position in the realm of Proust’s self-reflexive evaluation of artistic production (as can be demonstrated by an analysis of passages bothfrom the last part of Proust’s ›Recherche‹ and from the context of ›Jean Santeuil‹ and ›Contre SainteBeuve‹). Yet by evaluating inspiration as something that could not do without intellectual work, Proust undermines anti-intellectualistic platonizing poetics. In addition, this implies that Proust declares the gap between artists and non-artists as unbridgeable. For Proust, inspiration is enchanting because it is time regained, but takes shape only in the process of poetic creation.
Roberto Sanchiño Martínez: Libertad bajo palabra. Zur Poetik der Subversivität und Inspiration bei Octavio Paz
Subversivität und Inspiration sind in der Poetik von Octavio Paz zentrale Paradigmen. In Anlehnung an die Programmatik des ›creacionismo‹ und des Surrealismus sind sie Bestandteile einer selbstref lexiven und emanzipatorischen poetologischen Positionsbestimmung durch den Autor. Sie dienen ihm dazu, Figuren transpersonaler Rede (wie in seinem Essay El arco y la lira) und die Mehrdeutigkeit des dichterischen Wortes (wie in seinem Gedicht Blanco) zu inszenieren.
Subversion and inspiration are fundamental concepts in the poetics of Octavio Paz. Following the programs of creacionismo and surrealism they are part of a self-reflexive and emancipatoric poetological position of the author. They are used by him to produce figures of transpersonal speech (as in his essay ›El arco y la lira‹) and to underline the ambiguity of the poetic word (as in his poem ›Blanco‹).