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Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft Band 58. Heft 2


Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft (ZÄK) 58/2. 2013. 159 Seiten.
2366-0740. eJournal (PDF)
DOI: https://doi.org/10.28937/ZAEK-58-2
EUR 68,00


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ABSTRACTS

Thomas Khurana: Schema und Bild – Kant, Heidegger und das Verhältnis von Repräsentation und Abstraktion


Ein Schema stellt etwas vor, indem es zugleich von etwas absieht. Im Schema sind Repräsentation und Abstraktion einander mithin nicht entgegengesetzt, sondern bedingen und durchdringen sich wechselseitig. Um dieses Bedingungsverhältnis besser zu verstehen, untersucht der Beitrag in einem ersten Zug Kants Begriff des Schemas, demzufolge das Schema als  eine Instanz erscheint, die zwischen Begriff und Anschauung vermittelt. Aufgrund seiner Scharnierposition droht das Schema dabei jedoch jeweils zu einer der zu vermittelnden Seiten zu kippen. Der zweite Teil wendet sich Heidegger zu, der diese Schwierigkeit dadurch zu überwinden versucht, dass er das Schema nicht als hinzukommenden Mittler untersucht, der nachträglich Begriff und Anschauung »zusammengeraten« lässt, sondern Schematisierung immanent in der Artikulation von Anschauung und Begriff selbst aufsucht. Der dritte Teil des Beitrages widmet sich der Frage, auf welche Weise die Schematizität unseres Vorstellens durch bildliche Strategien eigens reflektiert wird. Es werden drei für die Gegenwartskunst bedeutsame ästhetische Strategien – Reduktion, Serialisierung und Rekonstruktion – diskutiert, durch die Bilder uns auf verschiedene Weise von ihnen absehen und auf die Verfahren  ihrer Figuration hinblicken lassen.

The way in which a schema represents something is precisely by abstracting from some of its features; in a schema, representation and abstraction are thus not opposed to each other but rather internally related. The first part of this paper investigates this internal relation by delineating Kant’s concept of schema as the term mediating concept and intuition. Due to its pivotal position, however, the schema tends to collapse either into the conceptual or into the intuitive. The second part of the paper turns to Heidegger who tries to overcome this difficulty: he does not conceive the schema as a supplementary representation that connects already determinate concepts and intuitions, but rather locates schematization immanently in the very articulation of concept and intuition themselves. The third part of the paper proposes that the schematicity of our representations can be reflected in three pictorial strategies that are important for contemporary art: reduction, serialization, and reconstruction. These strategies are exemplified in certain images which put us in a position to see through our own representational form, as it were, and observe the procedures of figuration involved in that very form.

Daniel Krause: Musikkritische Muster – Zur Rhetorik der Rezensionsprosa

Es fällt nicht leicht, musikkritische Urteile durchschaubar zu machen. Ihr Begründungsdefizit wird mit rhetorischen Mitteln kaschiert. Diese wurden bislang kaum erforscht. Im Folgenden sollen einige dieser Mittel vorgestellt werden.

Music critics find difficulty in substantiating their claims. They tend to use rhetoric in order to compensate for the lack of evidence. These rhetorical devices have not been scrutinized yet.  Thus it seems useful to deal with them.

Christian Krüger: Die Produktivität der Kunst – Der poietische Charakter der Kunst nach Ernst Cassirer

Der Aufsatz widmet sich der Rekonstruktion der kunsttheoretischen Position Ernst Cassirers vor dem Hintergrund der systematischen Frage nach dem Beitrag, den Kunst für das  menschliche Weltverhältnis zu leisten vermag. Cassirer, so die These, sieht die produktive Leistung von Kunst wesentlich darin, dass wir in Auseinandersetzung mit Kunstwerken neue sinnliche Wahrnehmungsfähigkeiten ausbilden. Er skizziert diesen Gedanken im Versuch über den Menschen entlang dreier zentraler Bestimmungen von Kunst. Der Aufsatz argumentiert dafür, dass Cassirers Begriff einer produktiven Kunst nur verständlich wird, wenn man zeigt, wie diese drei Bestimmungen begrifflich zusammenhängen. Ausgehend von diesen drei Bestimmungen entfaltet der Aufsatz zudem drei Kriterien, denen ein zufriedenstellender Begriff einer produktiven Kunst genügen muss.

This paper aims to reconstruct Ernst Cassirer’s theory of art against the backdrop of the systematic question of what overall contribution art can make to man’s relationship to the world. It will be shown that for Cassirer, the productive benefit of art is essentially developing new sensuous skills of perception when interacting with art. In Essay on Man Cassirer gives three central determinations to sketch out this idea. This paper argues that in order to render Cassirer’s concept of productive art intelligible, one has to show how these determinations are conceptually interrelated. Moreover, based on these three determinations this paper will outline three criteria that a satisfactory concept of productive art has to meet.

Konrad Lotter: Ästhetik des Südens, Ästhetik des Nordens – Anmerkungen zur Klimatheorie der Kunst

Die eigentümliche Verbindung geographischer Begriffe wie »Süden« und »Norden« mit dem philosophischen Begriff der Ästhetik verweist auf die sog. Klimatheorie, die die Autonomie der Kunst bestreitet und ihre Eigenart und Entwicklung durch das Wetter und andere Naturbedingungen erklärt. Zum einen werden die verschiedenen Ansätze dieser Theorie z.Zt. der europäischen Aufklärung dargestellt, die das Klima durch den Körper, die Lebensweise oder die Arbeit des Menschen vermittelt, auf seine geistige Produktion bezieht. Das Hauptanliegen des Aufsatzes ist es, die Entwicklungen der Klimatheorie und ihre Aufhebung in die physiologische Ästhetik Nietzsches, die Stilpsychologie Worringers oder die Ästhetik von Marx, die den ideologischen Überbau als Refl ex der sozialökonomischen Basis begreift, aufzuzeigen. Zum anderen wird die Verdrängung der (klassizistischen) Ästhetik des Südens durch die (romantische) Ästhetik des Nordens analysiert, die sich zunehmend von ihrem Ausgangspunkt entfernt und den Begriff des Klimas durch den der Nation und der Rasse ersetzt.

The peculiar association of geographical terms like »south« and »north« with the philosophical term of aesthetics refers to the so called climatology, which denies the autonomy of art and explains its characteristics and its development by weather and other natural phenomena. On the one hand, various concepts of the European enlightenment are described, relating climate, mediated through the body, the life style or the work of men, to spiritual production. The main objective of the article is to demonstrate the development of climatology, its integration (Aufhebung) into Nietzsche’s physiological aestetics, into Worringer’s Stilpsychologie (psychology of style) as well as into the aestetics of Marx, who interprets the ideological superstructure as a reflex action of the social and economical basis. On the other hand, the repression of the (classical) aesthetics of the »south« by the (romantic) aestetics of the »north« is analysed. Thus removing itself more and more from its starting point, the »northern aesthetics« substitutes the notion of climate with that of nation and race.

Gerson Reuter Musik ohne musikalische Gehalte – warum auch nicht?

Wir sind es gewohnt, auch Instrumentalmusik in semantischen Begriffen zu beschreiben. Derartige Musik scheint – nimmt man unsere Urteilspraxis beim Wort – beispielsweise Gedanken und Emotionen ausdrücken zu können. Dass Musik solche (und ähnliche) Gehalte hat, können wir, so die vorherrschende Meinung, im Zuge der Musikwahrnehmung auch hören. Der vorliegende Text ist im Kern ein Plädoyer dafür, dass wir derartigen Behauptungen mit Skepsis begegnen sollten. Nicht nur lassen sich Zweifel an ihrer Plausibilität anmelden; darüber hinaus dürfte es letztlich auch keinen wirklichen Verlust für unsere Musikerfahrung darstellen, zumindest einige dieser Weisen des Redens über Musik aufzugeben. Der Text ist allerdings nicht nur kritisch gehalten. Unterbreitet werden auch zwei Vorschläge, wie man einige der besonders tief in unserer Urteilspraxis verankerten derartigen Behauptungen verstehen könnte, ohne dabei vorauszusetzen, dass Musik – in typischen Situationen der Musikwahrnehmung – Gehalte aufweist.

We are used to describe instrumental music in semantic terms. Many of our judgements about music – at least if taken literally – seem to implicate that music is capable of expressing thoughts and emotions, for example. Moreover, in the course of listening to music, we actually seem to hear that music has such (and similar) contents. The main aim of the paper consists in presenting reasons for being skeptical towards such claims. Not only are these claims less plausible than one might think at first glance. What is more, at least some of these ways of talking about music are dispensable: we can give them up without any actual loss. The paper is not solely critical, though. It introduces two ideas aiming to show that some claims which are deeply anchored in our practice of articulating musical experiences can be understood without presupposing that the perceived music has some kind of content.

Steffen Siegel: Ich sehe was, was du nicht siehst – Zur Auflösung des Bildes

Die Geschichte der Fotografie formiert sich nicht allein anhand der Vielfalt verschiedener Techniken und Materialien, Motive und Stile. Ein wesentlicher Teil dieser Geschichte sind wir selbst – als die Betrachter fotografischer Bilder. Denn das, was sich auf einer Fotografie sehen lässt, wird auf weitreichende Weise durch unsere eigenen Erwartungen und Annahmen über die Leistungskraft eben dieser Bilder geprägt. Zum Einsatz gelangen hierbei noch immer Techniken der Betrachtung, die sich bis in die Anfangsphase fotografischer Bildlichkeit zurückverfolgen lassen. Bildersehen wird hierbei als eine Handlung verständlich, die sich in doppelter Weise auf die Auflösung der Fotografie richtet: zunächst als Merkmal der Mikrostruktur des Bildes; schließlich aber als ein Effekt, der gerade diese Formen in ein bedeutungsloses Rauschen überführt.

The history of photography is more than just a variety of techniques, materials, motives and styles. We the spectators of photographs, also figure as a crucial part of that history. What can be perceived in a photograph is shaped in a far-reaching manner by our own expectations and assumptions of photography’s capacity to show us something. Thus we continue to make use of techniques of observation that were established in the medium’s formative years. Looking at these pictures can be seen as an operation that deals with a tension between resolution and decomposition. In the end, our interest in the microstructure of photographic imagery produces visual forms without any denotation.

Konstantinos Vassiliou: Artistic Creativity and Human Evolution – Art Theory and the Work of A. Leroi-Gourhan

Der vorliegende Beitrag untersucht das Werk André Leroi-Gourhans und insbesondere seine zweibändige Monographie Le geste et la parole auf ihre kunsttheoretische Relevanz; so werden zentrale Debatten über künstlerische Kreativität behandelt und untersucht, inwiefern Leroi-Gourhan zu ihnen beitragen kann. Nach einer einführenden Darstellung einiger allgemeiner Prämissen von Leroi-Gourhan (I) wird in einem zweiten Teil (II) gezeigt, dass seine Theorie der »Rhythmen« wertvolle Einsichten in die Debatte um »Kunstwollen« und Materialismus bereithält. Der dritte Abschnitt (III) diskutiert Leroi-Gourhans Werk im Kontext der Debatte um Industrialisierung und audiovisuelle Kultur in ihrem Gegensatz zu handwerklicher Kreativität. Schließlich (IV) werden Leroi-Gourhans Schlussfolgerungen bezüglich Wahrnehung und Digitalität mit einigen Aspekten zeitgenössischer Kunsttheorie verbunden. Im Ganzen soll gezeigt werden, dass Leroi-Gourhans Werk ein flexibles analytisches Instrumentarium bereithält, um menschliche Evolution und Kunstgeschichte zusammenzudenken und Kreativität im Kontext der allgemeinen kulturellen und technologischen Verschiebungen nach der Moderne zu untersuchen.

This article relates the work of André Leroi-Gourhan and mostly his two-volume ok Le geste et la parole to art theory. More specifically, it is concerned with central debates on artistic creativity and examines how Leroi-Gourhan can contribute to them. After presenting some general premises of Leroi-Gourhan’s work (I), its second part (II) argues that his theory on ›rhythms‹ supplies valuable insights to the debate of Kunstwollen and materialism. The third part (III) discusses his work within the debate of industrialization and audiovisual culture as opposed to manual and artisanal creativity. The fourth part (IV) links Leroi-Gourhan’s conclusions on perception and digitality with some aspects of contemporary art theory. On the whole, this article argues that Leroi-Gourhans’s work provides flexible analytical tools in order to think art history and human evolution in conjunction, as well as a specifi c framework for examining creativity within the general cultural and technological shifts after the modern age. The conclusions of this essay shed some light on Leroi-Gourhan’s theories on art and offer some methodological perspectives to contemporary artistic theory.