In diesem Streit - ausgelöst durch Emil Du Bois-Reymonds Schrift Über die Grenzen des Naturerkennens (1872) - ging es nicht mehr um die Frage des Vorrangs der Naturwissenschaften vor Philosophie und Religion, sondern um die Grenzen, die auch dem materialistisch-darwinistischen Weltanschauungsreformprogramm gesetzt sind. Naturwissenschaft kann beschreiben und erklären, was der Fall ist - und hier kann sie unbeschränkt fortschreiten; aber kann sie auch Normen setzen, eine Ethik - und damit: ein vollständiges Weltbild - begründen? An diesem Punkt stößt sie nach Du Bois-Reymond auf eine unüberwindliche Schranke.
Die Frage ist auch heute nicht geklärt.
Die heute vorherrschende Meinung, nur die Naturwissenschaften seien in der Lage, uns das richtige Weltbild zu geben, bedarf der Korrektur. Die Beiträge dieser Bände zeigen, daß der Diskurs, in dessen Verlauf den Naturwissenschaften im 19. Jahrhundert diese Rolle zugesprochen wurde, sich nicht auf Erkenntnisse stützen kann - sondern auf Fehleinschätzungen darüber beruht, was Naturwissenschaft leistet.
- | Kapitel kaufen Inhalt5
- | Kapitel kaufen Kurt Bayertz / Myriam Gerhard / Walter Jaeschke: Einleitung7
- | Kapitel kaufen I. Die Ignorabimus-These und ihre Vorgeschichte17
- | Kapitel kaufen Günther Mensching: Unbeschränkter Fortschritt und die Grenze des Erkennens. Zu einer Antinomie im Denken der Aufklärung17
- | Kapitel kaufen Renate Wahsner: Debatten über die Grenzen des Naturerkennens vor dem Ignorabimus-Streit36
- | Kapitel kaufen Andrea Reichenberger: Emil Du Bois-Reymonds Ignorabimus-Rede: ein diplomatischer Schachzug im Streit um Forschungsfreiheit, Verantwortung und Legitimation der Wissenschaft63
- | Kapitel kaufen II. Wirkungen in den Wissenschaften89
- | Kapitel kaufen Hans-Jörg Rheinberger: Der Ignorabimus-Streit in seiner Rezeption durch Carl Wilhelm von Nägeli89
- | Kapitel kaufen Dietrich von Engelhardt: Das Ignorabimus Du Bois-Reymonds in Medizin und Psychiatrie98
- | Kapitel kaufen Cord Friebe: Das bleibende Rätsel der Kraft: Du Bois-Reymonds erstes Ignorabimus im Lichte der modernen Physik117
- | Kapitel kaufen Michael Stöltzner: »Das ›Ignorabimus‹ ist sinnlos.« Der Wiener Kreis und die Rückkehr eines alten Problems in der Quantenmechanik132
- | Kapitel kaufen III. Philosophische Wirkungen des Ignorabimus151
- | Kapitel kaufen Michael Pauen: Die Grenzen des Erkennens: Von Du Bois-Reymond zur aktuellen Philosophie des Geistes151
- | Kapitel kaufen Kurt Bayertz: »Das Rätsel gibt es nicht.« Von Emil Du Bois-Reymond über Wittgenstein zum Wiener Kreis183
- | Kapitel kaufen IV. Das Ignorabimus in der wissenschafts- und erkenntnistheoretischen Diskussion205
- | Kapitel kaufen Hans Jörg Sandkühler: Repräsentation – Grenzen und Entgrenzung der Erkenntnis. Von der Abbildung der Realität zur Befreiung des Sehens phänomenaler Wirklichkeit205
- | Kapitel kaufen Myriam Gerhard: Du Bois-Reymonds Ignorabimus als naturphilosophisches Schibboleth241
- | Kapitel kaufen Alexander C. T. Geppert: Okkultismus als Anti-Ignorabimus: Zur Geschichte einer epistemischen Mesalliance, 1872-1913253
- | Kapitel kaufen Hinweise zu den Autorinnen und Autoren281
Wie befeuert Wissenschaftsgeschichte unsere aktuellen, weltanschaulich aufgeladenen Debatten um Evolution, Gen- oder Hirnforschung? [...] Wie erhellend Wissenschaftsgeschichte hier tatsächlich ausfallen kann, zeigt jetzt ein großer publizistischer Wurf des Felix Meiner Verlags. Drei Bände, die in ihrer Kompaktheit und Kompetenz ihresgleichen suchen.
Frankfurter Allgemeine, 20. August 2008
Der Kampf um die Deutungshoheit, der Mitte des 19. Jahrhunderts in drei bedeutenden Auseinandersetzungen entflammte, dauert im Wesentlichen bis heute an. […] Die Philosophen Kurt Bayertz aus Münster, Myriam Gerhard aus Oldenburg und Walter Jaeschke aus Bochum haben nun zu jeder der drei Diskussionen einen historisch-kritisch orientierten Sammelband herausgegeben, der über die Dokumentation hinaus die Kontinuitäten und Brüche in der öffentlichen Auseinandersetzung zu diesem Thema bis heute in vorbildlicher Breite erhellt. […] Ein zusammenfassendes Urteil fällt aber leicht: Es gelingt den Herausgebern und Autoren, ein nüchternes, unpolemisches, gleichwohl faszinierendes, fassettenreiches und lesbares Bild zu zeichnen.
Spektrum der Wissenschaft (Juni 2008)
Die Konzentration der Herausgeber auf diese drei einflussreichen öffentlichen Debatten, die sich allesamt aus der Verflechtung naturwissenschaftlichen Wissens mit philosophischen und weltanschaulichen Fragen ergaben, ist ein kluger Schachzug, denn sie ermöglicht sowohl Anschlüsse an die Fragen einer breiten Leserschaft als auch an Problemstellungen von Fachhistorikerinnen und Philosophen. Wissenschaftshistorikern bieten alle drei Bände wertvolle Denkanstöße insbesondere für das aktuelle Thema der Popularisierung der Wissenschaften und die jüngste Diskussion über das Verhältnis kontemplativ-naturphilosophischer und praktisch-instrumenteller Dimensionen der modernen Naturwissenschaften.
NTM, Zeitschrift für die Geschichte der Wissenschaften, Technik und Medizin (Juni 2008)
Die drei Bände stellen einen bedeutsamen Beitrag zur Wissenschafts- und Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts dar. Die Bewußtseinslagen innerhalb des 'Laboratoriums der Moderne' um 1900 sind überhaupt erst zu verstehen, wenn die hier dokumentierten Diskussionen aufmerksam zur Kenntnis genommen werden. Eine für die intellektuellen Kontexte ihres Interessengebiets sensible Theologiegeschichtsforschung ist mit Materialismus, Darwinismus und Ignorabimus auf Forschungsfelder verwiesen, die bislang nur in ersten Ansätzen erschlossen wurden.
Zeitschrift für Neuere Theologiegeschichte Band 15, 2008, Heft 2
spannend und zugleich solide
Christ in der Gegenwart 9/2009
Bemerkenswert ist dabei auch, dass es die Hrsg. durch die Auswahl von 34 renommierten Autorinnen und Autoren aus unterschiedlichen Fachrichtungen geschafft haben, die normalerweise übliche Trennung von Wissenschaftsgeschichte entweder als Geschichte der Naturwissenschaften oder aber als Geschichte von Philosophie und Kulturwissenschaften zu vermeiden. Die Probleme werden damit im Kontext des gesamten Spektrums von Wissenschaft und Philosophie behandelt.
Historische Zeitschrift Band 288 (2009)
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