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ZMK Zeitschrift für Medien- und Kulturforschung 7/2/2016: Medien der Natur


Zeitschrift für Medien- und Kulturforschung (ZMK) 7/2/2016. 2016. 226 Seiten.
2366-0767. eJournal (PDF)
DOI: 10.28937/ZMK-7-2
EUR 0.00
Open Access unter CC BY-SA-Lizenz.


Abstracts

Tomáš Jirsa: Portrait of Absence: The Aisthetic Mediality of Empty Chairs

This article deals with the mediality of empty chairs in the works by Vincent van Gogh, Richard Weiner, Egon Schiele, Joseph Kosuth and Eugène Ionesco. These empty chairs are explored as aisthetic-affective figures pervading historical periods and cultural boundaries that offer a specific portrait of absence, which is able to intensify the subject despite its physical non-presence. The argument is based on the dialectic process of dis/appearing, posthermeneutics and the theory of the supplement.

Der Beitrag behandelt die Medialität leerer Stühle in den Werken von Vincent van Gogh, Richard Weiner, Egon Schiele, Joseph Kosuth und Eugène Ionesco. Leere Stühle werden als ästhetisch-affektive Figuren untersucht, die historische Perioden und kulturelle Grenzen durch- und überschreiten; dabei präsentieren sie ein spezifisches Porträt von Abwesenheit, das das Subjet trotz seiner physischen Nicht- Gegenwart intensiviert. Die Argumentation gründet in dem dialektischen Prozess von Er- scheinen und Verschwinden, Posthermeneutik und der Theorie des Supplements.

Barbara Baert: About Stain(s)

The stain asserts its autonomy as a spot or patch of colour different from the ground. It exists in and of itself. The stain tells us what it means to be the medium of visibility. Hence, every stain is a Metabild, a particular image that explains something about the image as a phenomenon. These properties make the stain a paradigm for the visual medium per se. In this essay I will deal with five factors that could have led to this powerful model: the stain as prototype, Veronica’s stain, the psycho-energetic symptom, Echo’s camouflage and finally, the stain as le désir mimétique.

Der Fleck behauptet seine Autonomie als farbiger Punkt oder Fläche, die sich vom Hintergrund abheben. Er existiert in und durch sich selbst. Der Fleck sagt uns, was es heißt, das Medium der Sichtbarkeit zu sein. Daher ist jeder Fleck ein Metabild, ein besonderes Bild, das etwas über das Bild als Phänomen aussagt. Diese Eigenschaften machen den Fleck zu einem Paradigma des visuellen Mediums per se. In diesem Essay werde ich fünf Faktoren vorstellen, die zu diesem einflussreichen Mo- dell geführt haben: Der Fleck als Prototyp, Veronikas Fleck, das psycho-energetische Symptom, die Tarnung Echos und schließlich der Fleck als le désir mimétique.

Andreas Ziemann: Die Kraft der Zeitutopie im 19. Jahrhundert. Literarische Medien- und Technikzukünfte bei Edward Bellamy, Kurd Laßwitz und Jules Verne

Der Aufsatz fokussiert die literarische Gattung von Utopie und Science Fiction als empirisches und historisches Material und untersucht an ausgewählten Texten des 19. Jahrhunderts, über welche zukünftigen Medien, Medienpraktiken und menschlichen Lebensformen dort geschrieben und (antizipativ) reflektiert wird. Zeitutopien, so die forschungsleitende These, fungieren als Modell und Entstehungsherd innovativer (Medien-) Techniken und besitzen eine spezifische Gestaltungskraft neuer Lebenswelten.

The paper focuses on the literary genre of utopia and science fiction as empirical and historical material. With reference to selected texts from the 19th century, it outlines which future media, media practices and human life forms are discussed in an often anticipatory way. The thesis is that time utopias act as a model and source of innovative (media) technologies and have a specific power to design new worlds.

Malte-Christian Gruber und Christoph Menke: Debatte: Nicht-Menschenrechte

Das Rechtssystem geht davon aus, dass der Mensch – und nur der Mensch – eine natürliche Person ist. Das sei ein Irrtum, argumentiert Malte-Christian Gruber, denn die Rechtssubjektivität wird keineswegs alleine mit dem bloßen Menschsein begründet. Es ist die sittliche Autonomie, die den Menschen zu einem »Subjekt, dessen Handlungen einer Zurechnung fähig sind« (Kant) und mithin zur Person macht. Personen werden nicht mit dem Menschsein als solchem identifiziert, sondern durch die Zuschreibung von Handlungs- und Rechtsträgerschaft. Eine solche funktionale Vorstellung von Rechtssubjektivität ist prinzipiell auch dazu imstande, neben Menschen noch weitere autonome Agenten als Träger von Rechten und Pflichten ein- zusetzen, z.B. technische Artefakte und andere nicht-menschliche Agenten. Christoph Menke macht dagegen darauf aufmerksam, dass die Erfindung neuer Rechte das eigentliche Bewegungsgesetz der politischen Emanzipation in der Moderne war. Das begann mit den bürgerlichen Revolutionen und ist immer noch das generelle Modell, mit dem Politik und Theorie operieren, die neue Rechte für nicht-menschliche Lebewesen und Artefakte einfordern. So wie im 19. und 20. Jahrhundert die rechtliche Emanzipation zunächst über die Grenzen bürgerlicher Subjektivität hinausgeführt hat und soziale und kulturelle Rechte erfand, so sollen wir nun den weiteren, konsequenten Schritt tun und auch noch die Bindung der juridischen Anerkennung an die Kategorie menschlicher Subjektivität aufbrechen. Auch Bio- und Artefakte sollen als eigenständige Rechtssubjekte rekonstruiert werden. Es fehlt ihnen allerdings etwas, das in den emanzipatorischen Kämpfen der Vergangenheit schlechthin grundlegend war: Ein Träger von Rechten zu sein, hieß, ein Fordernder von Rechten, ja, ein Kämpfer für Rechte gewesen zu sein. Man konnte keine rechtliche Person als Träger von Rechten sein, ohne ein politisches Subjekt als Kämpfer und Denker von Rechten gewesen zu sein. Wenn die Bindung der rechtlichen Personalität an die menschliche Subjektivität aufgelöst wird, damit es Bio- und Artefakt-Rechte geben kann, löst sich zugleich auch diese Einheit von rechtlicher Personalität und politischer Subjektivität auf, die die moderne Idee der Rechte definiert hatte.

The legal system assumes that human beings – and only human beings – are natural persons. That is erroneous, argues Malte-Christian Gruber, because legal subjectivity isn’t founded in humanity alone. It is moral autonomy that makes man into a “subject whose actions are capable of attribution” (Kant) and thus into a person. Personhood is not identified with being human as such, but by the attribution of actions and legal ownership. Besides human beings, such a functional concept of legal subjectivity can in principle also be applied to other autonomous agents as holder of rights and obligations, e.g. techno- logical artifacts and other non-human agents. Christoph Menke in turn points out that the invention of new rights was the actual law of motion of political emancipation in modern times. This began with the bourgeois revolutions and is still the general model with which politics and theory operate to claim new rights for non-human creatures and artifacts. Just as in the 19th and 20th centuries, the legal emancipation initially led beyond the limits of bourgeois subjectivity and in- vented social and cultural rights, so should we make a further consequent step and break with the dependence of juridical recognition on the category of human subjectivity. Also bio- and artifacts are to be reconstructed as independent legal entities. However, they lack something that was absolutely fundamental in the emancipatory struggles of the past: to be a subject of rights meant to have demanded rights, indeed, to have been a fighter for rights. One could not be a legal person and holder of rights without having been a political subject as fighter and thinker of rights. To suspend the dependence of legal personhood on human subjectivity so that there may be bio- and artifact-rights also means to dissolve the unity between legal personality and political subjectivity that once defined the modern idea of rights.

Erhard Schüttpelz: Domestizierung im Vergleich

Domestizierung lässt sich durch einen Nukleus aus drei technischen Tätigkeiten definieren: durch die gesteuerte Reproduktion, die eigens eingerichtete Ernährung und den Schutz von Tieren und Pflanzen vor Schädigungen. Wenn man diese Definition an einen Vergleich von Kulturen und Kollektiven anlegt, stellen sich zwei Überraschungen ein: Außerhalb jeder Domestizierung entwickeln Wildbeuter eine rituelle Domestizierung oder ein mythologisches Verständnis, ihre Welt sei bereits domestiziert. Und in der Moderne tritt an die Seite der technischen Domestizierung ihre mögliche Naturalisierung. Der Aufsatz zieht einige Konsequenzen aus diesem typologischen Vergleich.

Domestication can be defined by a nucleus of three technical activities: controlled reproduction and nutrition as well as protection of animals and plants from damage. If one applies this definition to a comparison of cultures and collectives, two surprises arise: Without being in touch of any kind of domestication, hunter-gatherers develop a ritual domestication or a mythological understanding that their world already is domesticated. And in modernity, possible naturalization arises at the side of technical domestication. The paper draws some conclusions from this typological comparison.

Alexander Pschera: Das Internet der Tiere: Natur 4.0 und die conditio humana

Neben der Industrie hat die Digitalisierung auch die Natur ergriffen. Die Tatsache, dass Tausende von Tieren mit GPS-Sendern aus- gerüstet und überwacht werden, erlaubt, analog zur Industrie 4.0 auch von einer Natur 4.0 zu sprechen. Dieses Internet der Tiere verändert den Begriff, den der Mensch von der Natur hat. Er transformiert die Wahrnehmung vor allem der Natur als etwas fundamental An- deren. Neben den vielen kulturellen Problematisierungen, die das Internet der Tiere mit sich bringt, lassen sich aber auch die Umrisse einer neuen, ganz und gar nicht esoterischen planetarisch-post-digitalen Kultur aufzeigen, die die conditio humana verändert.

In addition to industry, digitalization has also taken hold of nature. The fact that thousands of animals are provided and monitored with GPS transmitters allows to speak of nature 4.0 by way of analogy to industry 4.0. This internet of animals changes our idea of nature. Most of all, it transforms the perception of nature as something fundamentally other. Beside the many cultural problems that the internet of animals implies, it can also outline a new, not at all esoteric planetary post-digital culture that is about to change the human condition.

Roland Borgards: »Eintauchen!« Ozeanium versus Vision NEMO

Das Ozeanium und die Vision NEMO sind zwei entgegengesetzte Vorschläge, wie sich das Meer und die Meerestiere in einem Zoo präsentieren lassen. Das Ozeanium arbeitet mit konventionellen Großaquarien, in denen echte Fische schwimmen, die Vision NEMO mit neuesten Übertragungs- und Projektionstechniken, die bewegte Fischbilder zeigen. Medien spielen in beiden Projekten eine wichtige, zunächst sehr unterschiedliche Rolle. Eines aber haben beide Projekte gemeinsam: sie gehen davon aus, dass die Medien eine exklusiv menschliche Angelegenheit sind. Mediale Prozesse im Meerestierreich kommen so nicht in den Blick.

The Ozeanium and the Vision NEMO are two opposing proposals on how to present the sea and the marine life in a zoo. The Ozeanium is working with conventional large aquariums, in which real fish are swimming, while the Vision NEMO employs the latest transmission and projection techniques to show animated images of fishes. In both projects, media play an important, but also very different role. There is, however, one thing that both projects have in common: They assume that media are an exclusively human affair. Thus, medial processes in the marine animal kingdom don’t come into view.

Hannes Rickli: Der unsichtbare Faden. Zu Materialität und Infrastrukturen digitaler Tierbeobachtung

Tierbeobachtung in den Lebenswissenschaften ist medienbasiert und agiert in Abhängigkeit von Infrastrukturen, die normalerweise nicht sichtbar sind oder nicht beachtet wer- den. Anhand von Laborbeispielen in Zürich, Austin/Texas und auf Helgoland werden Konfigurationsverhältnisse menschlicher und nicht-menschlicher Akteure aus ästhetischer Perspektive untersucht. Im Fokus stehen die materiellen Kontexte, in die digitale Datenarbeit verwickelt ist, sowie die Frage, wie diese künstlerisch in einer ›verwissenschaftlichen‹ Gesellschaft erfahrbar gemacht und verhandelt werden können.

Wildlife observation in life sciences is media based and operates in dependence on infrastructures that are normally not visible or not noticed. On the basis of laboratory examples from Zurich, Austin/Texas and Helgoland, configurations of human and non-human actors are studied from an aesthetic perspective. The material contexts, in which work with digital data is involved, are brought into focus as well as the question of how they can be experienced and negotiated artistically in a “scientificized” society.

Gabriele Gramelsberger: Es schleimt, es lebt, es denkt – eine Rheologie des Medialen

Viel ist über Medien geschrieben worden, und doch ist dem Medium aller Medien bislang keinerlei Abhandlung gewidmet. Die Rede ist vom Schleim. Nicht irgendein Schleim, sondern der Urschleim jeglichen Lebens, dem Rätsel der Wissenschaft, das bis heute als ungelöst gilt. Und noch ein Rätsel gilt es zu lösen, nämlich von der eigenartigen Koalition von Schleim und technischen Medien. Schleim, so die Wissenschaft, ist nicht nur Beginn der Menschwerdung sondern auch die Zukunft der Technologie.

Much has been written about media, but the medium of all media has not been studied so far: I am referring to slime. Not just any slime, but the protoplasm of all life, the scientific mystery, which is still regarded as unsolved. And another mystery remains be solved, namely the peculiar coalition of slime and technical media. According to science, slime is not only the origin of the human species, but also the future of technology.

Maren Mayer-Schwieger: Sarcodeströmungen und »Natürliche Zuchtwahl«. Zu den Möglichkeiten und Modellierungen von Ökologie bei Ernst Haeckel

Ökologie ist in den Medien- und Kulturwissenschaften derzeit von hoher begrifflicher Konjunktur. Damit stellt sich die Frage nach dem Gebrauch, dem Potential und der historischen wie medialen Verfasstheit verschiedener Konzepte von Ökologie und deren jeweilige Fassung von Natur, Organismus und Relationalität. Eine Analyse von Ernst Haeckels Genereller Morphologie und seiner Sarcode-Versuche arbeitet verschiedene Modellierungen von (Inter-)Relationalität, insbesondere Organismus-Außenwelt-Beziehungen in der Ökologie heraus.

Ecology is a term that is much discussed in recent media and cultural studies. This raises the question of the use, the potential and the historical and medial constitution of different concepts of ecology and their respective understandings of nature, organism and relationality. This paper presents an analysis of Ernst Haeckel’s General Morphology and his Sarcodes-experiments and elaborates different models of (inter-)relationality, especially relations between organisms and environment, in ecology.

Markus Gabriel: Tatsachen statt Fossilien – Neuer versus Spekulativer Realismus

Der Spekulative Realismus nimmt seinen Ausgang von einer Kritik des Korrelationismus. Sein theoretischer Vorteil soll darin bestehen, das Anzestrale, also dasjenige, das es gab, ehe es überhaupt als Seiendes konstatiert werden konnte, besser denken zu können. Gegen diesen Ansatz wird zunächst gezeigt, dass er gerade nicht imstande ist, die Existenz von Fossilien als metaphysischen Beleg anzuführen. Anschließend wird eine neo-realistische Tatsachenontologie als überlegene Alter- native eingeführt und auf ihren Naturbegriff hin befragt.

Speculative Realism starts out from a critique of Correlationism. Its theoretical advantage supposedly is its ability to rethink the ancestral, i.e. that which was before it could be stated as Being. This paper argues against this approach by showing that Speculative Realism is precisely not able to employ the existence of fossils as a metaphysical proof. Subsequently, a neorealist ontology of facts is introduced as a superior alternative and questioned in view of its concept of nature.

Leander Scholz: Karl August Möbius und die Politik der Lebensgemeinschaft

Der Aufsatz rekonstruiert die historische Genese der politischen Ökologie im 19. Jahrhundert am Beispiel des Zoologen Karl August Möbius. Als entscheidendes Paradigma der Vorgeschichte wird die Bevölkerungsdebatte um 1800 herausgearbeitet. Vor diesem Hintergrund entsteht die politisch-ökologische Perspektive durch die Übertragung klassischer Prinzipien der Ökonomie auf Tiergemeinschaften und von dort wieder zurück auf eine zoologisch verstandene Menschenwelt.

The paper reconstructs the historical genesis of political ecology in the 19th century by the example of the zoologist Karl Möbius. The population debate around 1800 is elaborated as a decisive paradigm of its emergence. Against this background, the political-ecological perspective arises through the transfer of classical economic principles on animal com- munities and their retransfer back to a human world that is now understood in zoological terms.