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Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft 65/1, 2020: WERK-ZEUGE

Der Werkbegriff zwischen den geisteswissenschaftlichen Disziplinen


Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft (ZÄK) 65/1. 2020. 176 Seiten.
978-3-7873-3907-5. Kartoniert
EUR 94,00


Mit Texten von Reinold Schmücker, Amrei Bahr, Dieter Burdorf, Johannes Grave, Johannes Waßmer, Thomas Kater, Ìngrid Vendrell Ferran und Claudia Keller.


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Abstracts

Reinold Schmücker: Artefakt – Schöpfung – Werk. Prolegomena zu einer Taxonomie produzierter Entitäten

Was verbindet all diejenigen Dinge miteinander, auf die wir mit dem Werkbegriff Bezug nehmen? Der vorliegende Beitrag begründet, warum der Artefaktbegriff weiter gefasst werden sollte, als es in der Artefaktphilosophie üblich ist. Folgt man diesem Vorschlag, lassen sich der Begriff der Schöpfung und der Begriff des Werks als Subkategorien des Artefaktbegriffs explizieren. Auf diese Weise ergibt sich eine Taxonomie produzierter Entitäten, die auf eine Besonderheit der Kategorie des Werks aufmerksam macht: Als Werke fassen wir nur solche Schöpfungen auf, von denen wir annehmen, dass ihre Beschaffenheit urheberseitig in ihren wesentlichen Hinsichten abschließend festgelegt worden ist und diese Festlegung im Prinzip zeitlich datiert werden kann. Ein solches Verständnis des Werkbegriffs erlaubt es, die spezifisch unabgeschlossene Geschaffenheit von Vorstufen und bestimmten Fragmenten anzuerkennen, und lässt uns auch verstehen, warum wir mitunter von einem work in progress sprechen.

What do all those things have in common that we refer to with the concept of a work? This article explains why the concept of artifact should be understood in a broader sense than is usual in the philosophy of artifacts. Following this suggestion, the concept of creation and the concept of a work can be explained as subcategories of the concept of artifact. This leads to a taxonomy of produced entities, which draws attention to a peculiarity of the category of the work: We consider works to be only those creations of which we assume that their nature has been finally determined in its essential aspects by the author and that this determination can in principle be dated. Such an understanding of the concept of a work allows us to acknowledge the specifically unfinished nature of pre-stages and certain fragments, and also makes us understand why we sometimes speak of a ›work in progress‹.

Amrei Bahr: Sich ans Werk machen. Annäherung an einen geisteswissenschaftlichen Grundbegriff

Als zentrale Untersuchungsgegenstände sind Werke in den Geisteswissenschaften omnipräsent. Befragen wir geisteswissenschaftliche Disziplinen danach, was Werke eigentlich auszeichnet, sind wir allerdings mit einer Vielfalt disparater Auffassungen konfrontiert. Der Beitrag plädiert für einen begründet restriktiven Umgang mit dieser Vielfalt geisteswissenschaftlicher Werkkonzepte, um der je individuellen Leistungsfähigkeit der Konzepte angemessen Rechnung zu tragen. Funktionen des Werkbegriffs kommt dabei eine Schlüsselrolle zu: Innerhalb geisteswissenschaftlicher Praktiken erfüllt der Werkbegriff je unterschiedliche Funktionen, deren Explikation in doppelter Hinsicht von Nutzen ist. Zum einen können diese Funktionen als Gründe dafür dienen, bestimmte Praktiken der Verwendung des Werkbegriffs gegenüber anderen zu privilegieren. Zum anderen befördert es den (inter)disziplinären Austausch, wenn wir uns der Funktionen gewahr werden, die dem Werkbegriff innerhalb unserer Praktiken zukommen.

As central objects of investigation, works are omnipresent in the humanities. However, if we question individual disciplines as to what actually characterizes works, we are confronted with a variety of disparate work concepts. This paper argues for a reasoned restrictive approach to this diversity of work concepts in the humanities in order to take appropriate account of the individual capabilities of each of these concepts. Functions of these concepts play a key role in this context: within the humanities, work concepts fulfil a myriad of different functions, the explication of which is useful in two ways. On the one hand, these functions can serve as reasons for privileging certain practices of using work concepts over others. On the other hand, the awareness of the functions fulfilled by work concepts promotes (inter)disciplinary scientific exchange.

Dieter Burdorf: Grenzen des Fragments

In diesem Aufsatz wird zunächst der Begriff ›Fragment‹ im Kontext einer Theorie des ›Werks‹, also des abgeschlossenen Artefakts, geklärt. Es wird gezeigt, dass Fragmente im Gegensatz zu Werken in mindestens einer Hinsicht defiziente Artefakte sind. Im folgenden Schritt wird herausgearbeitet, wo das Fragment an seine Grenzen kommt. Gemeint ist dabei einerseits die materielle Abgrenzung des Fragments von seiner Umgebung durch Schnitte, Brüche und Konturen, andererseits die begriffliche Abgrenzung des Fragments von benachbarten literarischen Formen der Prosa und der Lyrik wie Aphorismus, Skizze, Entwurf, Montage und Monostichon. Ferner wird ein Blick auf ›totale Fragmente‹ (George Steiner), also Extremformen der Fragmentierung, geworfen, vor allem auf solche Fälle, in denen Artefakte ganz oder nahezu ganz gescheitert, verloren oder zerstört sind, also ein Maximum an Defizienz aufweisen. Der Schwerpunkt der Überlegungen liegt im Bereich der Literatur; andere Künste und Medien werden jedoch durchgehend vergleichend herangezogen.

In this paper, the term ›fragment‹ is first defined in the context of a theory of the ›work‹, i.e., the completed artifact: unlike works, fragments are deficient artifacts in at least one respect. Moreover, it is outlined where the fragment reaches its limits. This means on the one hand the material delimitation of the fragment from its surroundings by cuts, breaks, and contours, on the other hand the conceptual delimitation of the fragment from adjacent literary forms of prose and poetry, e.g. aphorism, sketch, draft, cut-up, or monostichon. Finally, ›total fragments‹ (George Steiner) are considered, that is, extreme forms of fragmentation, especially such cases in which artifacts have failed, been lost or destroyed completely or almost completely, this means: they have reached a maximum of deficiency. The focus of the argumentation lies in the field of literature; however, other arts and media are often used for comparison.

Johannes Grave: Werk und Wirkung – Bild und agency. Zur Aktualität der phänomenologischen Unterscheidung zwischen Kunstwerk und ästhetischem Objekt

Das Fach Kunstgeschichte hat den Werkbegriff – anders als den Kunstbegriff – kaum zum Gegenstand eigenen Nachdenkens gemacht. Dennoch hat der Begriff die Praxis der Disziplin nicht unwesentlich geprägt. Selbst im aktuellen Fachdiskurs, der das Wort ›Werk‹ aufgrund seiner Konnotationen oftmals durch andere Begriffe ersetzt, wirken einige Implikate der Werkästhetik nach. Dies gilt insbesondere für jüngere Überlegungen zur Macht von Bildern und zur agency von Artefakten. Der Beitrag nimmt diese Ausgangslage zum Anlass, um an die phänomenologische Grundunterscheidung zwischen dem dinglichen Kunstwerk und dem durch den Betrachter mitkonstituierten ästhetischen Objekt zu erinnern. Diese fundamentale Differenzierung, die im Anschluss an Mikel Dufrenne näher erläutert wird, könnte jenseits der Scheinalternative zwischen konstruktivistischen und animistischen Ansätzen einen neuen Weg weisen, um zu verstehen, warum Bildern und Artefakten so häufig Macht oder agency zugesprochen wird.

The discipline of art history has hardly made the concept of the artwork – unlike the concept of art – an object of reflection. Nevertheless, the term has had a significant influence on the practice of art historians. Even in current discourses, which often replace the word ›work‹ by other terms to avoid its connotations, some implications of the aesthetics that is associated with the ›work‹ continue to resonate. This is particularly true of recent reflections on the power of images and the agency of artefacts. The contribution takes this situation as an opportunity to resort to the basic phenomenological distinction between the work of art as a thing and the ›aesthetic object‹ that is co-constituted by the viewer. This fundamental differentiation, elab- orated particularly by Mikel Dufrenne, could help to overcome the misleading dichotomy be- tween constructivist and animist approaches and point a new way to understand why images and artefacts are so often attributed power or agency.

Johannes Waßmer: Im Werkraum der Geisteswissenschaften. Friedrich Nietzsches Der Wille zur Macht zwischen epistemischem Ding und boundary object

Mein Beitrag versteht den Werkbegriff nicht nur als ästhetischen, sondern auch als epistemischen Grundbegriff. Ausgehend von einem nachgelassenen Fragment Friedrich Nietzsches, das Eingang in Der Wille zur Macht – einen Text mit prekärem Werkstatus – gefunden hat, wird in drei Schritten argumentiert: (1) Der Werkbegriff ist an verschiedenen Prozeduren in den Geisteswissenschaften beteiligt und bleibt auch dann erhalten, wenn ein werkästhetischer Werkbegriff abgelehnt wird. (2) Innerhalb dieser Prozeduren kommt dem Werkbegriff eine gemeinsame Funktion zu. Sie besteht in der Konstitution epistemischer Dinge. Die Ähnlichkeit der Prozeduren des Werkbegriffs in den Geisteswissenschaften kann mit dieser Beschreibung auch über methodische und disziplinäre Grenzen hinweg beschrieben werden. (3) Der Wille zur Macht wird auch für kulturelle bzw. kulturökonomische Zwecke in Dienst genommen. Der Werkbegriff ist ein Grenzbegriff über die Wissenschaft hinaus. Er bildet boundary objects.

This paper understands the concept of work not only as an aesthetic but also as an epistemic basic concept. It starts from one of the ›Nachgelassenene Fragmente‹ of Friedrich Nietzsche’s work, which has found its way into ›Der Wille zur Macht‹ – a text with a precarious work status. I will argue in three steps: (1) The concept of work is involved in various procedures in the humanities and remains so even if an aesthetic concept of the work is rejected. (2) Within these procedures, the concept of work has a common function. It consists in the constitution of epistemic things. The similarity of the procedures of the concept of work in the humanities can also be described with this description across methodological and disciplinary boundaries. (3) ›Der Wille zur Macht‹ is also used for cultural or cultural-economic purposes. The con- cept of work is a borderline concept that transcends the boundaries of science. It constitutes ›boundary objects‹.

Thomas Kater: Werke der Wissenschaft. Praxeologische Perspektiven auf die Kategorie des Werks

Der Beitrag perspektiviert das Verhältnis von Werk und Wissenschaften auf zwei­ fache Weise: zum einen nimmt er das künstlerische Werk als ›Gegenstand‹ der Wissenschaften in den Blick. Ausgehend von Werkausgaben wird gezeigt, dass und inwiefern die Literaturwissenschaft im Rahmen der Editionspraxis maßgeblich an der Konstitution ihrer primären Forschungsgegenstände beteiligt ist. Zum anderen werden Werke als ›Medien‹ der Wissenschaften untersucht. Dabei wird nach den Implikationen des Werkstatus von Forschungsarbeiten für die wissenschaftliche Praxis gefragt. Neben der Kategorie des wissenschaftlichen Œuvres werden dazu spezifische Werktypen (Standardwerke, Dissertations­ und Habilitationsschriften) untersucht und auch die medialen Rahmenbedingungen von wissenschaftlichen Werken reflektiert. Aus dieser Doppelperspektive erweist sich die Kategorie des Werks als aufschlussreicher Bezugspunkt für die Untersuchung von disziplinspezifischen und disziplinübergreifenden Wissenschaftspraktiken.

The article discusses the relationship between works and science in two ways: On the one hand, it considers the work of art as an ›object‹ of science. Taking critical editions and edition practice as an example, it shows that and to what extent literary studies play a key role in the constitution of their primary research subjects. On the other hand, works as ›media‹ of science are examined and the implications of the status of a work for scientific practice investigated. In addition to the category of a scientific oeuvre, specific types of works (standard works, dissertation and habilitation theses) are examined and the mediality of scientific works is reflected. From this double perspective, the category of the work proves to be an instructive point of reference for the study of scientific practices and their disciplinary differences as well as similarities.

Íngrid Vendrell Ferran: Spur, Zeugnis und Imagination. Der Erkenntniswert von Dokumentarfilmen

In diesem Aufsatz argumentiere ich, dass alle Dokumentarfilme darauf abzielen, uns Erkenntnis über einen Aspekt der Realität zu vermitteln. Dieser These zu­ folge sind Dokumentarfilme – im Unterschied zu anderen Filmgattungen – der Wirklichkeit verpflichtet. Vor diesem Hintergrund sollen in diesem Aufsatz zwei Aspekte genauer untersucht werden: zum einen, wie der kognitive Wert von Dokumentarfilmen genauer zu verstehen ist, und zum anderen, inwiefern ausgehend von diesem epistemischen Aspekt Unterscheidungskriterien zwischen Dokumentarfilmen und anderen Filmgattungen entwickelt werden können. Der Aufsatz gliedert sich in zwei Teile. Im ersten Teil werde ich die Frage untersuchen, inwiefern Dokumentarfilme ›Dokumente‹ der Realität sind. Dabei werde ich verschiedene Interpretationen des epistemischen Ziels von Dokumentarfilmen besprechen und auch die ›Vergegenwärtigungsansicht‹ als Ergänzung zu der ›assertorischen Ansicht‹ (Plantinga, Carroll und Currie) und zu der ›Verstehensansicht‹ (Dromm) anbieten. Im zweiten Teil sollen die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Dokumentarfilmen und Spielfilmen besprochen werden, um genauere Unterscheidungskriterien zu entwickeln. Ich werde hierfür den phänomenologischen Begriff der Imagination (Sartre, Meunier) einführen und seine Produktivität für die Debatte über den kognitiven Wert von Dokumentarfilmen aufzeigen.

In this paper I will argue that the common denominator shared by all examples of what we call documentary film is their pursuit of an epistemic goal. According to this view, documentaries, unlike fictional films, are committed to reality. Against this background, in this paper I explore two key aspects of documentary films. On the one hand, I establish an understanding of the cognitive value of documentary film and, on the other, I explore a range of criteria for differentiating between documentary films and fictional films. The paper is divided into two sections. In the first, I examine the question of whether documentaries can be regarded as ›documents‹ of reality. I explore different interpretations of the epistemic value of documentary films and I present the ›re-presentation view‹ as supplementary to the ›assertoric view‹ (Plantinga, Carroll and Currie) and the ›understanding view‹ (Dromm). In the second section, I discuss the similarities and differences between documentary films and fictional films, and I develop specific criteria of differentiation. Here I introduce the phenomenological concept of imagination (Sartre, Meunier) and show how it can help in explaining the epistemic dimension of documentary films.


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