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Was ist poetische Sprache?


Zurück zum Heft: Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft Band 56. Heft 1
DOI: https://doi.org/10.28937/1000106185
EUR 14,90


Der Aufsatz nimmt seinen Ausgang von einer genauen Auseinandersetzung mit Jakobsons Beschreibung der »poetischen Funktion.« Er kommt dabei zu der Schlussfolgerung, dass sich das von Jakobson bestimmte distinktive Merkmal poetischer Sprache, die Bildung paradigmatischer Ähnlichkeiten, anders als von ihm behauptet, nicht als eine Projektion der paradigmatischen auf die syntagmatische Achse der Sprache beschreiben lässt. Der semantische Effekt dieser Ähnlichkeiten besteht ebenso wenig in einer ausschließlichen Produktion von Ambivalenz, vielmehr stellen sie vielfach Kohärenz her, wie vor allem anhand von Beispielen für Metapher, Metonymie und Allegorie gezeigt wird. In einem zweiten Schritt wendet sich der Aufsatz einer detaillierten Interpretation des 8. Sonetts aus Petrarcas Canzoniere zu, die seinen intertextuellen Bezügen zu weiteren Sonetten aus diesem Zyklus, aber auch zur scholastischen Theologie und platonischen Philosophie nachgeht. Dabei wird die These der Kohärenzbildung weiter entwickelt: Gerade die Stellen, die zunächst unverständlich scheinen, lassen sich als implizite Propositionen und zu- gleich als kohärenzstiftende Aussagen ausweisen. In einem abschließenden Teil wird daher implizite Kohärenzbildung als das spezifische Merkmal poetischer Sprache des näheren charakterisiert sowie die daraus folgende Notwendigkeit der Hermeneutik des literarischen Textes begründet.

The essay departs from a detailed discussion of Jakobson’s description of the »poetic function.« It comes to the conclusion that the distinctive feature of poetic language, defined by Jakobson as the production of paradigmatic similarity, cannot be understood as a result of the projection of the paradigmatic axis of language onto its syntagmatic axis. Furthermore, the semantic effect of these similarities does not consist exclusively in a production of ambivalence; frequently, they produce coherence, as can be shown with reference to examples of metaphors, metonymies and allegories. In a second step, the essay turns to a detailed interpretation of the 8th sonnet of Petrarch’s Canzoniere, which examines its intertextual relations to other son- nets of this cycle as well as those to scholastic theology and Platonic philosophy. This interpretation further develops the idea that poetic language produces coherence; for, precisely those lines that at first seem incomprehensible can be understood as implicit propositions and coherencecreating statements. In its concluding section, the paper characterizes the implicit production of coherence as the specific feature of poetic language and discusses the necessity of a hermeneutics of literary texts.