Abstracts
Gertrud Koch: Film als Experiment der Animation. Sind Filme Experimente am Menschen?
Im Zentrum steht der Begriff des Experiments, der mit Kants Begriff der Lebendigkeit als zentralem Topos der ästhetischen Erfahrung auf die ›Animation‹ im Film bezogen wird, insoweit beide einen lebenswissenschaftlichen Kern haben. Insbesondere in einer Auseinandersetzung mit Eisensteins Poetik des ›Plasmatischen‹ wird die experimentelle Übertragung einer lebenswissenschaftlichen Metapher in eine Ästhetik des Films diskutiert, die von der Animation ausgeht.
The paper discusses the notion of »experiment« and relates it – via Kant’s concept of liveliness, which is a central topos of aesthetic experience – to »animation« in film, insofar as both essentially refer to »life sciences.« Drawing upon the example of Eisenstein’s poetics of the »plasmic,« the paper discusses the transferal of a metaphor from life sciences to an aesthetics of cinema based on animation.
Bruce Clarke: Embodied Mediation: AVATAR and its Systems
Der Aufsatz untersucht die fiktive Technologie, die Avatar in Bezug zu weiteren im Text genannten Netzwerken antreibt. Als eine narrative Realisierung von embodied mediation (verkörperter Vermittlung bzw. Mediatisierung) ist der Avatar in avatar die organische Metamorphose eines medialen Systems, ein hybrider biokybernetischer Apparat, der bedeutsame existentielle Widersprüche generiert. avatar ist weiterhin eine Allegorie derjenigen Medientechnik, die für seine eigene Produktion angewendet wurde. Das Begehren, die disembodied mediations (entkörperte Vermittlung bzw. Mediatisierung) zu mediatisieren, Zeichen in Gegenstände zurück zu verwandeln, beruht auf dem, was tatsächlich und immer möglich war: der Verwandlung von Gegenständen in Zeichen.
This paper examines the fictive technology that drives avatar in relation to other networks named by the text. A narrative realization of embodied mediation, the avatar in avatar is the organic metamorphosis of a media system, a hybridic biocybernetic apparatus generating signifi cant existential contradictions. avatar is also an allegory of the media technology that went into its own production. The desire to remediate disembodied mediations, to turn signs back into objects, rests on what is actually and always possible, the transformation of objects into signs.
Andreas Gelhard: Das Dispositiv der Eignung. Elemente einer Genealogie der Prüfungstechniken
Vieles spricht dafür, dass das Dispositiv der Schuld, das mit der Leitunterscheidung erlaubt/verboten operiert, im Verlauf des
20. Jahrhunderts in ein Dispositiv der Eignung umgebaut wurde, dessen Leitunterscheidung können/nichtkönnen lautet. In diesem Zusammenhang spielen die um 1900 aufkommende Angewandte Psychologie und die von ihr entwickelten Prüfungstechniken eine entscheidende Rolle. Der Aufsatz demonstriert dies exemplarisch an den Arbeiten von William Stern (Schülerauslese), Hugo Münsterberg (Betriebspsychologie) und Kurt Lewin(social management). Dabei zeigt sich, dass das Eignungsdispositiv auch solche psychologischen Techniken zu integrieren vermag, die ursprünglich nicht für die Eignungsprüfung konzipiert wurden.
This paper argues that during the 20th century the dispositive of guilt (which operates with the principal distinction permitted/forbidden) is restructured as a dispositive of aptitude, which relies on the principal distinction able/ not able. In this context, the angewandte Psychologie (applied psychology), which emerges at the turn of the century and the technologies of examination it developed play a signifi cant role. This can be demonstrated with reference to the works of William Stern (selection of students), Hugo Münsterberg (work psychology) and Kurt Lewin (social management). Furthermore, it can be shown that the dispositive of ability can also integrate those psychological techniques that originally were not conceived for ability testing.
Friedrich Kittler: Stuttgarter Rede über Architektur
Der Vortrag schlägt vor, nicht mehr den Menschen als letzte Referenz und vertrauten Maßstab der Architektur zu setzen, sondern Architekturen als Mediensysteme zu denken. Eine noch ungeschriebene Mediengeschichte der Architektur sollte daher auch und gerade in historischer Absicht nach formalen Entsprechungen zwischen Techniken des Entwerfens und solchen der Bauten suchen, in denen Praxis und Produkt zusammenfallen.
The paper proposes the consideration of architecture(s) as a media system, instead of imposing man as its ultimate reference and known measure. A media history of architecture – which remains to be written – should therefore search for formal correspondences between techniques of drafting and those of buildings, in which practice and product coincide.
Mario Carpo: Digitaler Stil
In der Architektur kamen digitale Werkzeuge bereits frühzeitig zur Anwendung. Seit den frühen 1990er Jahren bereiteten digitale Entwurfstheorien dem digital turn den Weg und nahmen ihn oftmals vorweg. Im Mainstream angekommen, scheinen digitale Technologien nun einen neuen und umfassenden Stil der digitalen Fabrikation zu fördern – allerdings keinen, den die Architekten im Sinn hatten und keinen, der allen Architekten gefallen dürfte.
In architecture digital tools began to be used relatively early. Since the early 1990s, theories of digital sketching prepared the way for the digital turn and even anticipated it in some cases. Having moved mainstream, the most recent digital technologies seem to foster a new and comprehensive style of digital fabrication – albeit none that the architects would have had in mind, nor one that would please all architects.
Sean Keller: Architecture after Drafting
In den letzten zwei Jahrzehnten wurde die Dominanz des Zeichnens für die Architektur von einer ganzen Reihe von digitalen Repräsentationstechniken verdrängt. Der Beitrag stellt eine kritische Antwort auf Mario Carpos These dar, dieser Wandel bringe Architektur zu einer »autographischen« Praxis zurück, die noch vor die Renaissance zurückreiche. Demgegenüber argumentiert der Beitrag, dass Architektur nach dem Modell von Rosalind Kraus als post-medium art (»postmediale Kunst«) gedacht werden sollte.
Over the last two decades drawing has been displaced from its dominant role in architecture by a range of computational representations. This article off ers a critical response to Mario Carpo’s recent argument that this shift returns architecture to an ›autographic‹ mode of practice not seen since before the Renaissance. In contrast, I suggest that architecture today should be thought of through Rosalind Krauss’s model of a post-medium art.
Barbara Wittmann: Papierprojekte. Die Zeichnung als Instrument des Entwurfs
In der Geschichte des künstlerischen, technischen und architektonischen Entwerfens wurde das Zeichnen weitgehend mit bestimmten Projektionstechniken identifi ziert. Allerdings dürfte sich die eigentlich generative Kraft des Zeichnens schwerlich auf den Stabilisierungs- und Übertragungsvorgang beschränken lassen. Wo gezeichnet wird, wird auch überzeichnet, durchgestrichen, neu begonnen, also: immer weiter gezeichnet. Worin besteht nun also die Leistung des Zeichnens als Werkzeug des Entwurfs?
In the history of artistic, technical and architectonical design, drawing has largely been identifi ed with certain techniques of projection. However, the actual productive potency of drawing can hardly be reduced to an act of stabilization and transferal. Drawing also means to draw over, to cross out, to start anew, and therefore: to keep drawing. What is, then, the benefi t of drawing as a tool for designing?
Adrian Mackenzie: Technical Objects in the Biological Century
Wie unterscheidet sich ein Betriebssystem wie bspw. Linux von einer Mikrobe? Der Beitrag untersucht, wie technische Objekte im »Jahrhundert der Biologie« aufgefasst werden. Anhand des Werks von Gilbert Simondon wird gefragt, welche Existenzweisen biotechnische Objekte aufweisen. Die Prozesse von Abstraktion und Konkretisierung, die auf dem Feld der Synthetischen Biologie stattfinden, können einen Weg aufweisen, diese Fragen zu beantworten.
How does a computer operating system such as Linux diff er from a microbe? This paper explores how technical objects are envisaged in the »century of biology«. Via the work of Gilbert Simondon, it asks what modes of existence biotechnical objects will display. The processes of abstraction and concretisation taking place in the fi eld of synthetic biology off er one way to address these questions.
Ann-Sophie Lehmann: Taking the Lid off the Utah Teapot: Towards a Material Analysis of Computer Graphics
Der Beitrag stellt die These auf, dass der Einfluss digitaler Bilder auf visuelle Kultur nur verstanden werden kann, wenn die spezifi sche Materialität dieser Artefakte bedacht wird. Anhand einer Analyse des berühmten Utah teapot werden fünf materiale Schichten unterschieden, darunter Herstellung, Codierung, forensische und epistemische Materialität, sowie der Begriff der Trans-Materialität. Jede Schicht wird in Beziehung zu theoretischen Konzepten von Materialität in Medienwissenschaften, Kunstgeschichte, Computerwissenschaft und Anthropologie diskutiert.
This article argues that the impact of digital images on visual culture can only be understood if the specifi c materiality of these artefacts is taken into account. An analysis of the famous Utah teapot distinguishes five material layers, including making, coding, forensic and epistemic materiality, as well as the notion of trans-materiality. Each layer is developed in relation to theoretical concepts of materiality in media studies, art history, computer science, and anthropology.
Anke Hennig: Dinge teilen
Aus dem Motiv eines »Aufstandes der Dinge« leitet sich im linken russischen Konstruktivismus der Imperativ einer Befreiung der Dinge her, der sich von ihrer Repräsentation abkehrt und ein Bilderverbot verhängt, um neue Dinge für ›neue Menschen‹ zu erschaffen. Diese Dinge – Universalkleidungsstücke und mobile Gebrauchsgegenstände – überspringen den Gegensatz zwischen Objekt und Dinglichkeit. Wie die zeitgenössische russische Phänomenologie (Gustav Špet, Nikolaj Žinkin) feststellt, macht kein ›idealer Gegenstand‹ ihr Wesen aus, sondern der soziale Gebrauch, der es in einen unabschließbaren Veränderungsprozess involviert.
Russian constructivism’s motif of an »insurgence of things« leads to the imperative of a liberation of things, which turns away from their representation and declares a Bilderverbot (prohibition of representation) in order to create new things for »new men.« These things – for example, clothing and articles of daily use – overleap the opposition between object and thingness. Their essence, as contemporary Russian phenomenology (Gustav Špet, Nikolaj Žinkin) affi rms, is not constituted by any »ideal object«, but by social usage, which involves it in an interminable metamorphosis.
Christoph Asendorf: Philosophie im Tiefenraum. Die Schule von Athen als Weltentwurf Raffaels
Die Akteure in Raffaels Schule von Athen gehören in die Antike so gut wie in die Gegenwart der Renaissance. Das gilt genauso für die große Halle, durch die sie sich bewegen. Schon daran wird deutlich, dass es Raffael mit der Darstellung einer vergangenen Welt zugleich um gegenwärtige Fragestellungen geht. Architektur und Akteure sind dabei so sorgfältig aufeinander bezogen, dass sich im Zusammenspiel von Raumbild und philosophischen Konzepten der Entwurf einer harmonisch geordneten Welt zeigt. Der aber hat auch in seinem Werk nur kurzen Bestand.
The agents in Raphael’s The School of Athens belong as much to antiquity as they do to the Renaissance. This is also true with respect to the large hall in which they move. Already these observations show that, while depicting a distant world of the past, Raphael also works through questions of his own time. Architecture and agents are meticulously related to one another, so that the interplay of spatiality and philosophical concepts represents the idea of a harmonic world-order. This conception of the world, however, will last only for a short time – even in the work of Raphael.