Man kann Cassirer als Schöpfer eines eigenen epistemologischen Ansatzes verstehen, der nicht nur bisher ungelöste Probleme der Erkenntnistheorie zu klären vermag, sondern der es ebenso erlaubt, die immer noch umstrittenen Befunde der Relativitätstheorie und Quantentheorie in neuem Licht zu sehen und ihrer vermeintlichen Widersprüchlichkeit zu entkleiden. Schmitz-Rigals grandiose Studie über Cassirers offen-genetisches und holistisches Erkenntnismodell schlägt zugleich eine Brücke zwischen den Disziplinen und untersucht die Leistungsfähigkeit dieses Modells für die Deutung der modernen Physik.
Man kann Cassirer als Schöpfer eines eigenen epistemologischen Ansatzes verstehen, der nicht nur bisher ungelöste Probleme der Erkenntnistheorie zu klären vermag, sondern der es ebenso erlaubt, die immer noch umstrittenen Befunde der Relativitätstheorie und Quantentheorie in neuem Licht zu sehen und ihrer vermeintlichen Widersprüchlichkeit zu entkleiden. Es wird also versucht, im Gefolge Cassirers eine Brücke zwischen den Disziplinen zu schlagen und dank einer Studie zur Epistemologie eine erhellende Deutung der modernen Physik zu leisten.
Cassirer stellt sich der zentralen Frage, wie das Wissen konstitutiv offen und vergänglich sein kann, ohne deswegen seine Erklärungskraft und seinen Wahrheitsanspruch einbüßen zu müssen. Er antwortet auf die Herausforderung zeitlicher Kontingenz mit einem offen-genetischen, holistischen Erkenntnismodell. In ihm werden alle Wissenskomponenten, auch die apriorischen Grundlagen, auf eine ihnen zugrundeliegende Dynamik zurückgeführt und als Produkte eines beständigen, rückgekoppelten Gestaltungsprozesses erklärt, der auf das vitale Problem der Orientierung kreativ mit der Bildung symbolischer Ordnungen reagiert, dessen tatsächliche Erkenntnisleistung sich aber nur in der pragmatischen Erprobung und Erfüllung seiner Funktion zeigen kann. Damit wird die strukturierende Sinngenese als transzendentale Bedingung jeglicher Objektivierung sichtbar.
Im ersten Teil des Buches wird dieser Ansatz durch den Bezug auf Kant, Leibniz und die Kunst entwickelt und motiviert. Im zweiten Teil wird das Cassirersche Modell im Detail diskutiert und seine innovative Konzeption von Konstitution und Legitimation des Wissens vorgestellt, die es ermöglicht, das klassische Form-Inhalt-Modell und mit ihm die Schwächen des erkenntnistheoretischen Dualismus zu überwinden. Im dritten Teil wird, ganz im Cassirerschen Sinne, die konkrete Leistungsfähigkeit dieser Sichtweise an der Erschließung der Naturwissenschaft 'Physik' erprobt. Indem die Möglichkeitsbedingungen ihres spezifischen Objektivierungverfahrens sichtbar werden, kann ein neuer Lösungsvorschlag für die Deutungsprobleme von Relativitätstheorie und Quantentheorie gegeben werden. Im vierten Teil findet zur doppelten Erprobung und indirekten Bestätigung der Cassirerschen Analyse nochmals ein kritischer Vergleich zu den wichtigsten Interpretationsversuchen der Physiker selbst statt.
- | Kapitel kaufen Cover1
- | Kapitel kaufen InhaltV
- | Kapitel kaufen Einleitung. >Sub specie finitatis<: Wissen und ZeitlichkeitIX
- | Kapitel kaufen Erster Teil - Vom geschlossenen zum offenen Modell: zur Motivation des Übergangs1
- | Kapitel kaufen 1.1. Kants Ringen mit dem Dualismus2
- | Kapitel kaufen 1.2. Cassirers Ringen mit Kant24
- | Kapitel kaufen 1.3. Von Kant zu Cassirer: vom geschlossenen zum offen-funktionalen Apriori50
- | Kapitel kaufen Zweiter Teil - Epistemologie des Zeitlichen: Wissen als offener Ordnungs- und Orientierungsprozeß85
- | Kapitel kaufen 2.1. Kant, Leibniz und die Kunst: die Elemente des Cassirerschen Ansatzes85
- | Kapitel kaufen 2.2. Vom regellosen Ursprung der Ordnung89
- | Kapitel kaufen 2.3. Cassirers offen-dynamisches Modell: zur produktiven Genese objektivierender Verstehensordnungen94
- | Kapitel kaufen 2.3.1. Bestimmung als Differenzierung: gliedernde Grenzsetzung statt einigen der Synthesis.95
- | Kapitel kaufen 2.3.2. Bestimmung als Sinngenese: Symbol, Vermittlung und Bewußtsein110
- | Kapitel kaufen 2.3.2.1. Geistigkeit des Sinnlichen und Sinnlichkeit des Geistigen115
- | Kapitel kaufen 2.3.3. Bestimmung durch >foci imaginarii<: Begriff, Idee und Hypothese133
- | Kapitel kaufen 2.3.4. Cassirers offen- genetisches Modell im Überblick143
- | Kapitel kaufen 2.3.5. Offene Legitimation durch Leistung und prozessuale Wahrheit148
- | Kapitel kaufen 2.4. Offenheit, Orientierungsnot und Symbolische Formung: zur Kritik der >unreinen< Vernunft164
- | Kapitel kaufen 2.5. Ausdruck, Darstellung und Bedeutung: drei Stufen des Symbolbewußtseins177
- | Kapitel kaufen Dritter Teil - Die Physik als Symbolische Formung: zur »Probe an den Phänomenen«185
- | Kapitel kaufen 3.1. Der Prozeß wissenschaftlicher Objektivierung194
- | Kapitel kaufen 3.1.1. Die Maßbegriffe: freie Standortwahl und Transsubstantiation196
- | Kapitel kaufen 3.1.1.1. Die Ontologisierungstendenz der Maßbegriffe und ihre Ursachen201
- | Kapitel kaufen 3.1.2. Die Gesetzesbegriffe: Integration zu reinen Verhältnissen206
- | Kapitel kaufen 3.1.3. Die Prinzipienaussagen: Einheit als Leitgedanke209
- | Kapitel kaufen 3.1.4. Der Holismus des physikalischen Symbolsystems und seine Dynamik220
- | Kapitel kaufen 3.1.5. Selbstbezug und Fremdbezug: zum indirekten Verhältnis von Theorie und Erfahrung225
- | Kapitel kaufen 3.1.6. Die Kunst der Wissenschaft: »hypotheses fingo«231
- | Kapitel kaufen 3.2. Relativitätstheorie und Quantentheorie als Invariantenwechsel: zur» Tieferlegung der Fundamente«235
- | Kapitel kaufen 3.2.1. Die Relativitätstheorie: von der Physik der Bilder zur Physik der Prinzipien239
- | Kapitel kaufen 3.2.1.1. Die Krise der Anschauung in der Relativitätstheorie246
- | Kapitel kaufen 3.2.1.2. Raum und Zeit in Physik und Philosophie249
- | Kapitel kaufen 3.2.1.3. Relativierung als Korrelat neuer Invarianz253
- | Kapitel kaufen 3.2.2. Die Quantentheorie als Physik der offenen Form256
- | Kapitel kaufen 3.2.2.1. Wahrscheinlichkeit und Gesetzlichkeit264
- | Kapitel kaufen 3.2.2.2. Die Unschärferelationen270
- | Kapitel kaufen 3.2.2.3. Zur Funktion des Kausalsatzes277
- | Kapitel kaufen 3.2.2.4. Das Verhältnis der klassischen Mechanik zur Quantentheorie..281
- | Kapitel kaufen 3.2.2.5. Der Physiker als >Bürger zweier Welten<: Kontinuitätsforderung und Anschauung286
- | Kapitel kaufen 3.2.2.6. Die epistemische Funktion des Objektbegriffs290
- | Kapitel kaufen 3.2.2.7. Objektivität ohne Objekte299
- | Kapitel kaufen 3.2.3. Cassirers Lösungsansatz: funktionales Apriori und Vielheit gleichberechtigter Objektivierungsnormen302
- | Kapitel kaufen Vierter Teil - Von Bohr bis Bohm: die Deutungsdebatte der Physik309
- | Kapitel kaufen 4.1. Niels Bohr: versöhnliche Erneuerung dank Symbolbewußtsein310
- | Kapitel kaufen 4.2. Erwin Schrödinger: Innovation dank Funktionsbewußtsein.321
- | Kapitel kaufen 4.3. Befürworter und Kritiker: verräterische Redeweisen326
- | Kapitel kaufen 4.4. Das EPR-Experiment: Kritik im Namen des klassischen Realitätsbegriffs338
- | Kapitel kaufen 4.5. David Bohm und Hugh Everett: Versuche der Rückkehr zum Altbewährten342
- | Kapitel kaufen 4.6. Die vergessene Zeit347
- | Kapitel kaufen Fünfter Teil - Die neue Bescheidenheit oder Abschied vom Endgültigen353
- | Kapitel kaufen 5.1. Kreativität und Pragmatismus: die Kunst offenen Wissens353
- | Kapitel kaufen 5.2. Relativitätstheorie der Erkenntnis366
- | Kapitel kaufen Literaturverzeichnis375
Ich muß mich darauf beschränken Ihnen zu sagen, wie sehr mir Ihr Buch gefällt. Es ist ein Genuß es zu lesen. In historischer wie, vor allem, in philosophischer Hinsicht gibt es die beste Deutung von Cassirers Denken.
Raymond Klibansky brieflich an die Autorin
Mit dieser verdienstvollen Monographie hat die Autorin ein zentrales Thema nicht nur der Epistemologie, sondern der gesamten Philosophie Ernst Cassirer treffend analysiert und legitimerweise in den Vordergrund gerückt.
Philosophischer Literaturanzeiger 57/4