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Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft Band 67. Heft 2

Schwerpunkt: Kunst-Moral – Muss Kunst moralisch sein?


67/2. 2022. 134 Seiten
978-3-7873-4365-2. Kartoniert
EUR 94,00


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Abstracts

Schmücker, Reinhold, Theisohn, Philipp: Noch einmal: zur Einführung.

Wiesner, Maria: Gewalt, Mord und Antihelden – Moral im Kino. Ein kritischer Essay

Kaum eine Kunstform ist so immersiv wie der Film. Beschäftigt er sich mit menschlichen Abgründen, thematisiert er Verbrechen, Gewalt, gar Mord, so wird ihm gern vorgeworfen, unmoralisch zu sein und das Publikum zu verderben. Anhand ausgewählter Beispiele, von Alfred Hitchcocks Rope über Martin Scorseses Taxi Driver bis zu Lars von Triers Dogville, geht dieser kritische Essay der Frage nach, welchen moralischen Anspruch Filme haben. Mit Blick auf neue Werke wie Promising Young Woman und Joker stellt sich die Frage, wie die modernen Antihelden die Zuschauerinnen und Zuschauer beeinflussen. Auf dieser Grundlage erörtert der Text, welche Veränderungen es hinsichtlich moralischer Aspekte in der Rezeption der Werke gab, worauf sich neueste Zensurversuche beschränken und wer entscheidet, wie moralisch wertvoll Kunst ist.

Dikovich, Albert: Die Untugend der Kunst . Pragmatistische Reflexionen über den Kitsch anlässlich des gegenwärtigen Krieges

Im Folgenden wird der Versuch unternommen, ausgehend von John Deweys Kunst als Erfahrung ein Verständnis des Kitsches als ästhetische Untugend zu entwickeln. Dabei wird der leitenden Frage des Bandes, ob Kunst moralisch sein muss, in der Weise begegnet, dass nach der spezifischen moralischen Wirkungsweise von Kunstwerken gefragt wird. Nachdem entgegen einer Dichotomisierung von Kunst und Moral die Leistung moderner Literatur und Kunst darin erkannt wird, die Grenzen lebensleitender moralischer Begriffe und Werte anschaulich zu machen und damit Lern- und Reflexionsprozesse auszulösen, wird Kitsch als Umkehr dieser Wirkungsweise von Kunst aufgearbeitet. Kitsch stabilisiert demnach moralische Überzeugungen, Wertvorstellungen und Lebensmodelle, indem er eine sinnliche Welt vor Augen führt, die einen stetigen Resonanzraum letzterer darstellt. Vom Befund ausgehend, dass sein ideologischer Gebrauch in der Natur des Kitsches angelegt ist, wird schließlich Krieg – und insbesondere der gegenwärtige Krieg in Europa – als ein Anlass betrachtet, der die Untugend der Kunst zum Gedeihen bringt.

Paret, Christoph: Der kalt erwiderte Blick. Oscar Wilde, die Nebensächlichkeit der Kunst und das Unästhetische der Existenz

Oscar Wilde reagiert auf die missliche Lage der Kunst angesichts eines zunehmend blasierten Publikums. Er vertauscht die Rollen und setzt seine Kunst als Rezeption derer an, die ehemals die Rezipienten waren – gemäß dem Topos vom ›sehenden Kunstwerk‹ (Früchtl). Wilde zu rezipieren heißt allererst, sich rezipiert zu wissen. Wilde blickt kälter zurück, als er oder seine Kunst angeblickt werden könnten. Als angeblicktes wird das Publikum unversehens selbst in die Position des Kunstwerks versetzt. Es sieht sich mit ästhetischen Erwartungen konfrontiert, denen es aus systematischen Gründen nicht gerecht werden kann. Die Existenz zu ästhetisieren heißt, sie zu desavouieren. Wilde erzieht auf diese Weise nicht sein Publikum, er erzieht hin zum Publikum. Dem Publikum soll nichts Besseres passieren können, als Publikum zu bleiben. Der kalte Blick ist ihm als Amoralismus ausgelegt worden. Doch Wilde taugt nicht als Beispiel dafür, dass selbst moralisch Verwerfliches ästhetisch legitim sein kann. Er führt stattdessen vor Augen, dass das Ästhetische weitaus weniger erlaubt als das Ethische. Unethisches verbietet sich schon – und nur – ästhetisch.

Shusterman, Ronald: The Metaethical Turn: Beyond ›Good‹ and ›Evil‹.

Does art have to be moral? The first point that might be made is that this question is not necessarily a question ›in‹ aesthetics. Indeed, the philosophy of art should be considered as research into the concepts, implications, scope, and workings of artistic practise and reception. In that sense, the moral evaluation of art would be no different from the moral evaluation of any other human activity. All of the questions raised by the focus of this issue would thus remain essential, but would be beyond the scope of aesthetic theory. There is, however, a more fundamental point to be made. Contemporary philosophers give us very probing taxonomies of the various positions possible with respect to any ethical approach to art. But whether one opts for ›Autonomism‹, ›Moralism‹, or ›Immoralism‹, one could be drawn to acknowledge the operation of what I call the metaethical effect of art. This metaethical effect is not to be seen as the formulation of a specific message, moral, or value, but as the kindling and refinement of an awareness of the notion of value itself, and of the nature of evaluation, interpretation, and shared judgment. The argument would thus be that all works, be they moral, immoral, amoral, be they concrete and narrational or purely non-figurative and non-referential, provoke a reaction that teaches us the form of shared judgment.

Bertrand-Hoettcke, Aude, Kettner, Matthias: Framing people’s justice . Normative Aporien des interkulturellen Dialogs über Kunst am Beispiel der documenta fifteen

Das Großbild People’s Justice, ein vor zwei Jahrzehnten in Indonesien als Agit-Prop-Kunstwerk intendiertes Werk des Künstlerkollektivs Taring Padi, wurde 2022 aufder Kasseler Kunstausstellung documenta fifteen öffentlich ausgestellt. Die öffentliche Kritik erklärte das Großbild zu einem einem antisemitischen Machwerk und skandalisierte die Kunstausstellung im Ganzen als geprägt von antisemitischem Aktivismus. Das Großbild wurde zuerst abgedeckt, dann komplett entfernt. – In unserem Beitrag analysieren wir die politische Problematik, die die Matrix für den Skandal vorgibt, und die organisationsethische Aporie der Verantwortungsdiffusion: Die Organisation der Kunstausstellung wollte die kuratorische Freiheit der Künstler-Kollektive maximieren, erhöhte damit aber das Risiko von dramatischen Reputationsschäden. Sodann entwickelt wir die ästhetische Problematik, dass das neuartige Genre einer ›post-autonomen Kunst‹, das für die documenta fifteen charakteristisch ist, besonders hohe Anforderungen stellt an das Vermögen der Reflexion der Differenz von Kunst und Politik sowie der Reflexion auf kulturelle Identitäten und Differenzen, wenn post-autonome Kunst in multikulturellen Kontexten operiert. Diese hohen Anforderungen betreffen nicht allein die Künstler und Kuratoren, sondern auch das reale und virtuelle Publikum einer offenen multikulturellen Kunstausstellung. Wir identifizieren einige Gründe, warum die hohen Anforderungen bei der Durchführung der documenta fifteen nicht gut erfüllt wurden. Dann entwickeln wir im Rahmen der Diskursethik einige Vorschläge, die die tiefen normativen Aporien solcher Ausstellungen und ihrer schwierigen Diskurskultur offenlegen und prospektiv hilfreich sein können. Zuletzt fassen wir die charakteristischen Schwierigkeiten und Aporien, die wir herausgearbeitet haben, kurz zusammen und enden mit einem Ausblick auf Aline Caillets kunstphilosophisches Konzept einer spezifisch ästhetischen Verantwortung.

Mersmann, Birgit, Ohls, Hauke: Die Ausstellung als geopolitische Versuchsanordnung. Künstlerischer Wissenstransfer und transmediale Vermittlung in Latours Gedankenausstellung Critical Zones – Horizonte einer neuen Erdpolitik

Die Ausstellung Critical Zones – Horizonte einer neuen Erdpolitik (2020–2022) im ZKM Karlsruhe vereint künstlerische, philosophische und wissenschaftliche Wissensproduktion im Medium der ›Gedankenausstellung‹. Die thematische Ausrichtung der Ausstellung stützt sich auf die Schriften von Bruno Latour, der einer der Kuratoren ist. Der Artikel analysiert, wie Latours Forschungen über die Kritische Zone, das Terrestrische und die Gaia-Hypothese in ein Ausstellungsformat transformiert wurden, das eine transmediale Verräumlichung von Gedanken mit der Besucher- und Besucherinnenerfahrung des ›how to land on earth‹ zu verbinden sucht. Auf der Grundlage einer detaillierten Ausstellungsanalyse wird die Kuration und Vermittlung von Latours erdpolitischen Gedanken und Konzepten sowohl in der physischen Ausstellung als auch auf der digitalen Ausstellungsplattform untersucht, die in Reaktion auf die Covid-19-Pandemie entstanden ist.

Besprechung.