Zwischen den letzten sicher datierbaren Sermones des I. Bandes, in denen es Nikolaus von Kues um die kerygmatische Ausmünzung der hochspekulativen Leitideen von De docta ignorantia ging, und diesem Faszikel II,1 liegt nicht nur eine zeitliche Zäsur von über zwei Jahren. In den hier erstmals edierten 13 Predigten prägt sich vielmehr das ganze geistige Profil des NvK auf eine wieder neue Weise mit zunehmender Eigenständigkeit aus. Weit stärker als zuvor setzt er nun beim Neuen Testament sowie bei der menschlich-existentialen Selbsterfahrung ein, um von beiden zugleich her das Verständnis des erlösenden Leidens (XXVIIf., XXXI-XXXV) und der Auferstehung (XXXVI) Jesu als des menschgewordenen Sohnes Gottes (XXX) zu erschließen. Auch in der größeren der beiden Trinitätspredigten (XXXVIII) läßt er diesen manuduktorischen Grundzug bewußt hervortreten. Die Pfingstpredigt (XXXVII), zu der er in nicht weniger als vier Entwürfen ausholte, enthält die eingehendste Darlegung seiner das gesamte Wirken des Heiligen Geistes einbeziehenden Pneumatologie; die Quellenanalyse der 5 Quästionen in deren 3. Teil deckt bei Cusanus am eindeutigsten ein intensives Studium der auf Petrus Lombardus fußenden hochscholastischen Lehrtradition auf. Bei mehreren Predigten ist aber auch ein sich steigerndes Interesse an Eriugena (XXVIIf. u. XXXVII f.) sowie an Meister Eckhart (XXVIII u. XXXV-XXXVIII) zu erkennen. Bei einigen Formulierungen (in XXVII u. XXXIV f.) ist überdies die Kenntnis der „Theologia deutsch" zu vermuten. Eine Sonderstellung nimmt die Predigt (XXIX) ein, die Nikolaus zur Eröffnung der Visitation des Simeonsstiftes zu Trier hielt.