Die unter dem Titel "Metaphysik "überlieferte kleine Abhandlung des Aristotelesschülers Theophrast enthält eine ebenso kompakte wie kritische Rekonstruktion ungelöster systematischer Grundlagenprobleme der klassischen griechischen Philosophie, angefangen bei den Vorsokratikern über Platon und die Akademie bis hin zu Aristoteles. Es geht vornehmlich um fundamentale Aporien der Ontologie und der Naturphilosophie, wie die Frage nach der Interdependenz ideeller Prinzipien und wahrnehmbarer Phänomene oder die Plausibilität der Teleologie als methodisches Prinzip der Naturerklärung. Theophrast analysiert und bewertet die geläufigen konkurrierenden Lösungsvorschläge und zeigt ihre Defizite unerbittlich auf: ein Stück synoptischer Metaphysikkritik, das an zeitgenössische Typen der Dekonstruktion erinnert.
Der Text hat seinen Wert als Dokument für den Übergang von einer konstruktiven zu einer eher skeptischen, in Teilen sogar destruktiven Phase der klassischen griechischen Tradition und zeigt exemplarisch, vor allem am Verhältnis der theophrastschen zur aristotelischen "Metaphysik", wie sehr die jeweiligen philosophischen Positionen sich in Abhängigkeit von der jeweiligen Rezeption vorgängiger Rezeptionsprozesse entwickelten.
Die kritische Edition dieses philosophiehistorischen Schlüsseltextes hat das Ziel, diese Bedeutung des bislang zu wenig beachteten Dokuments aus der Schule des Aristoteles sichtbar zu machen.