»Wir dürfen nicht an allem festhalten, was wir gehört und gelesen haben, sondern müssen aufs genaueste die Auffassungen der früheren Generationen prüfen, um hinzuzufügen, was bei ihnen fehlte, und um zu berichtigen, wo Irrtümer unterlaufen waren.« Mit diesen Worten wandte sich der Franziskanermönch Roger Bacon an Papst Clemens IV., um ihm seine grundlegende Idee einer umfassenden Reform der Wissenschaften und der Gesellschaft des 13. Jahrhunderts vorzustellen. Seine Reformvorschläge bestanden unter anderem darin, den durch die Übersetzungsbemühungen des 12. und 13. Jahrhunderts nun wieder rezipierbaren experimentellen und mathematischen Wissenschaften eine bis dahin ganz neue Stellung im universitären Lehrplan einzuräumen. Außerdem forderte Bacon, den Sprachunterricht des Hebräischen, Griechischen und Arabischen zu institutionalisieren, weil »die unaussprechliche Schönheit der Weisheit« nur aus diesen Sprachen gewonnen werden könne.
Bacon scheiterte mit seinen Bemühungen, nicht zuletzt durch Clemens’ Tod, und die Idee einer grundlegenden Reform des Studiums und der Gesellschaft durch die Macht der Wissenschaften geriet in den nächsten Jahrhunderten in Vergessenheit, ebenso wie Bacons Schriften. Dennoch bleibt die Hoffnung auf eine Reform der Gesellschaft durch die Kraft der Vernunft, die in ihrer Radikalität die Aufklärung vorweg zu nehmen scheint, von zeitloser Anziehungskraft.
Das Compendium studii philosophiae (1272), in dem Bacon sein Reformprogramm konzis und unter oft erstaunlicher Abgrenzung von scholastischen Autoritäten darstellt, liegt nun erstmals in einer deutschen Übersetzung vor. Seine Reformideen dürften nichts von ihrer Aktualität verloren haben, denn – so Bacon im Compendium – »so lange wie die Unwissenheit andauert, kann kein Heilmittel gegen die Gebrechen des Menschen gefunden werden«.