Rainer Maria Rilke hat der Verkündigung des Todes Gottes, die Friedrich Nietzsche jubelnd und doch unter Schmerzen vorträgt, nicht zugestimmt und sie von seinem Werk ferngehalten. ›Gott‹ ist in der Dichtung Rilkes vielmehr auf allen Werkstufen gegenwärtig, obgleich nicht so, als könnten Menschen über ihn ›verfügen‹.
Der in ›Nähe und Ferne‹ anwesende Gott ist in Rilkes Dichtung höchst lebendig, angefangen von der Preisung der unmittelbaren Anrede Gottes im Gebet (»Gott, du bist groß«) bis zum beredten Schweigen angesichts des nahenden Todes. Rilkes Kritik richtet sich gegen den ›Gott‹, über den institutionell verfügt wird, den man zum Besitz erklärt und der ›die Welt‹ entwertet. Die Wirklichkeit des Göttlichen im Leben, die in Rilkes Dichtung zutage tritt und die Leser auf die Frage nach Gott verweist, ruft ein ›Erstaunen‹ hervor, das zur Orientierung im Denken gehört, die Kant als Anlass und als Aufgabe der Philosophie verstanden hat.
Dichtung leistet als solche zwar nicht selbst die gebotene Denkarbeit, sondern ist mit Platons Worten als ein ›ernsthaftes Spiel‹ zu verstehen, das um ›Gott‹ ›kreist‹. Im »Brief des jungen Arbeiters« aus der Zeit des Abschlusses der Elegien erwähnt Rilke seine »Erfahrung«, dass ihm »›Gott‹ zu sagen, so leicht, so wahrhaftig, so [...] problemlos einfach sei« (SW VI,1118). Die Hintergründe dieser verblüffenden Leichtigkeit sind zu bedenken und auf ihre Ursprünge, ihre Kontexte und Tragfestigkeit hin zu untersuchen.
Aus diesem Blickwinkel zeigt sich die Dichtung Rilkes als ein ernstes Thema der Philosophie, das Wirklichkeit enthüllt und die Frage nach Gott und dem Göttlichen neu zu bedenken antreibt.
- | Kapitel kaufen Inhaltsverzeichnis5
- | Kapitel kaufen Vorwort des Herausgebers9
- | Kapitel kaufen Rainer Maria Rilke: Rede über die Gegenliebe Gottes (Entwürfe)13
- | Kapitel kaufen I. Einführende Betrachtungen zur Themafrage im Blick auf das Gesamtwerk Rilkes17
- | Kapitel kaufen N. Fischer: ›Gott‹ in der Dichtung Rainer Maria Rilkes. Einführung und ein Vorblick auf die Beiträge19
- | Kapitel kaufen A. Stahl: Rilkes ausdauernde Arbeit am Mythos37
- | Kapitel kaufen N. Fischer: Rilkes Zugang zur Religion. Gegen die Hypothese seiner ›Immanenz-Gläubigkeit‹69
- | Kapitel kaufen J. Sirovátka: Rilkes Herkunft und ein erster Blick auf seinen Weg107
- | Kapitel kaufen II. Zur Auslegung einzelner Werke und Werkgruppen133
- | Kapitel kaufen N. Stapper: Die »Christus-Visionen« Rainer Maria Rilkes135
- | Kapitel kaufen A.W. Belobratow: »Gott (wohne) in der Achselhöhle …«. Zur Bedeutung von Rilkes Rußlanderlebnis161
- | Kapitel kaufen M. Orosz: »Gebirge, Gestein, Wildnis, Un-Weg«. Raumwahrnehmung und Transzendenzerfahrung in Rainer Maria Rilkes Capreser Gedichten175
- | Kapitel kaufen W. Waters: Fragen nach Gott in den ›Neuen Gedichten‹201
- | Kapitel kaufen N. Fischer: »Mein Gott, fiel es mir mit Ungestüm ein, so bist du also.« Sämtliche Fundstellen zum Wort ›Gott‹ in MLB mit kurzem Kontext und erläuternden Anmerkungen223
- | Kapitel kaufen W. Braungart: Das Schweigen der Engel und der Hinweg des Subjekts. Sprachsuche, Selbstsuche, Gottsuche in Rilkes ›Duineser Elegien‹257
- | Kapitel kaufen F.-W. v. Herrmann: »Und zitternd hochgerissen standen sie krumm und hatten bange lieb«. Zu Rilkes Emmaus-Gedicht297
- | Kapitel kaufen A. Raffelt: Rainer Maria Rilke – Paul Hindemith: Das Marien-Leben311
- | Kapitel kaufen III. Systematische und geschichtliche Reflexionen zur Dichtung Rilkes339
- | Kapitel kaufen M. Neumann: Einige Überlegungen zur Wahrheit der Dichtung341
- | Kapitel kaufen G. Steer: Rainer Maria Rilke als Leser Meister Eckharts361
- | Kapitel kaufen D.J. Polikoff: Die unerhörte Mitte. Rilkes Gottesvorstellung aus der Perspektive von Joseph Campbells vergleichender Mythologie381
- | Kapitel kaufen T. Pittrof: Rilkes ›Gott‹ und der Polytheismus der modernen Kultur401
- | Kapitel kaufen P. Por: Rilkes anagogische Gottesvorstellung413
- | Kapitel kaufen L. Wenzler: Rilkes Wege mit ›Gott‹ – religionsphilosophisch betrachtet439
- | Kapitel kaufen A. Stahl: »Ein Wehn im Gott«. Der schöpferische Odem Gottes in Rilkes ›Sonetten an Orpheus‹475
- | Kapitel kaufen Anhang491
- | Kapitel kaufen Auswahlbibliographie Rilke, Religion und Christentum491
- | Kapitel kaufen Siglenverzeichnis495
- | Kapitel kaufen Zitierte Quellen497
- | Kapitel kaufen Zitierte Literatur505
- | Kapitel kaufen Namenregister523
"Die fünfzehn Beiträge im vorliegenden Band belegen eindrucksvoll, wie sehr der Dichter Rainer Maria Rilke (1875- 1926) sein Leben lang in der Gottesfrage um angemessene Sprache gerungen hat. [...] Dieses interdisziplinäre Werk setzt Maßstäbe und bestätigt Rilkes herausfordernden Satz: 'Gott ist das älteste Kunstwerk.'"
Christ in der Gegenwart, Nr. 2 / 2015