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Zeitschrift für kritische Theorie, Heft 50/51

26. Jahrgang (2020)


Zeitschrift für kritische Theorie 50/51. 2020. Unverändertes eJournal der 1. Aufl. 2020. 288 Seiten. In Kommission für den zu Klampen! Verlag.
978-3-86674-878-1. eJournal (PDF)
DOI: 10.28937/978-3-86674-878-1
EUR 25.99
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Abstracts

Müller, Jan: Idee und Wahrheit. Benjamins sprachphilosophischer Beitrag und seine Einheit

Jan Müller liest Walter Benjamins sprachtheoretische Schriften als Teil eines zusammenhängenden Problemaufrisses. Er setzt bei der von Benjamin als notwendig unterstellten Idee eines gelingenden Sachbezugs der Sprache an. Dieser müsse einerseits von der Sache selbst her bemessen, andererseits müsse seine wesentlich sprachliche Vermitteltheit mitgedacht werden. Benjamin löse die Spannung zwischen beiden nicht auf, sondern halte sie »als zu einer materialistischen Idee von Sprache dazugehörend« fest. Müller bestimmt in diesem Rahmen zentrale Begriffe Benjamins – wie Darstellung, Idee, Wahrheit und nicht zuletzt den der Sprache selbst – neu und stellt, wo die Sache es erfordert, überraschende Verbindungen zu Zeitgenossen – wie Gottlob Frege – her.

Schmid Noerr, Gunzelin: Stillgestellte Zeit. Robert Steidls Gemälde »Reisegruppe«: eine tiefenhermeneutische Interpretation

Gunzelin Schmid Noerr exemplifiziert die von Alfred Lorenzer inspirierte Methode der tiefenhermeneutischen Kulturanalyse als Interpretation der Formensprache eines zeitgenössischen Kunstwerks. Schmid Noerr betrachtet ein Gemälde von Robert Steidl mit den Mitteln des ›szenischen Verstehens‹. Er geht den Dimensionen der Bedeutung von ›gestalteter Zufälligkeit‹ im Zusammenhang subjektiver, sich dem Bewussten entziehender Interaktionen und erstarrender Handlungsentwürfe nach. Weil kulturell symbolisierte Formationen, in denen sich Phantasien, Ängste, Hoffnungen und Konflikte manifestieren, um ihrer Konsistenz willen dazu tendieren, gegenläufige Regungen in die Latenz abzudrängen, müsse sich die Analyse »auf ein imaginäres dialogisches Zusammenspiel mit dem Werk einlassen« und »eine in dem szenischen Arrangement des Werkes angebotene virtuelle Rolle übernehmen, um die Bedeutung einer inszenierten Erlebnisfigur zu entschlüsseln.« Mit Seitenblicken auf Watteau und Friedrich wird in Steidls motivisch harmlos und willkürlich scheinendem Bild die Gestaltung einer »Angstkomponente« entziffert, die auf Zeit und Tod verweist. Eine Farbreproduktion der analysierten Werke von Steidl ist auf der Website der ZkT einzusehen.

Macdonald, Iain: Avalanche. On Ruben Östlund’s »Force majeure«

Iain Macdonald reflektiert anhand des Films Force majeure von Ruben Östlund (2014) mit Adorno und Kracauer über das aktuelle Verhältnis von erster und zweiter Natur. Die Reaktion der Figuren auf einen Lawinenabgang werfe Fragen nach der bürgerlichen Kälte auf und Fragen nach Rollenmodellen für Einstellungen zur Natur, etwa unter Rückbezug auf den problematischen Heldenbegriff des Bergfilms aus den 1930er Jahren. Wie weit reicht die Bereitschaft zur schicksalhaften Unterwerfung unter die Natur heute? Östlunds Film registriere eine entsprechende Mentalität und kritisiere sie zugleich.

Ruth, Sonderegger: Eine nicht verpasste Begegnung. Zu Fred Motens Auseinandersetzung mit Theodor W. Adorno

Ruth Sonderegger widmet sich der Rezeption Adornos in postkolonialen Theorien. Am Beispiel von Fred Moten veranschaulicht sie eine Rezeptionsweise, die Adorno weder reflexartig ablehnt noch vorschnell affirmiert, sondern durch methodische ›Umwendungen‹ seiner klassischen Theoreme eine ›kritische Affirmation‹ unternehme. Dadurch werden eingefahrene Lektüren aufgebrochen, und Adorno erweist sich als anschlussfähig für eine Tradition schwarzer Kritik und Befreiung, die bis zur Gründung der Protestbewegung Black Lives Matter reicht.

Greiert, Andreas: »Kritische Kritik« und »pathische Projektion«. Elemente des modernen Antisemitismus bei Bruno Bauer

Andreas Greiert untersucht das Werk Bruno Bauers als Musterbeispiel für den Umschlag wissenschaftlicher Rationalität in Irrationalität. Greiert geht von einem antithetischen Befund aus: Die Kritik am Antisemitismus gehört demnach genauso zur Moderne wie sein Fortbestehen in transformierter Gestalt, die sich an bürgerliche Wirtschaftsund Herrschaftsverhältnisse anpasst. Greiert vergegenwärtigt den Diskurs über das Judentum bei Hegel, Bauer und Marx. Er zeigt, wie sich Bauers ›dezidiert unvernünftiger‹ Hass auf die Juden ›dezidiert aufklärerisch‹ als wissenschaftliche Vernunft verkleidet hat. Bauer stilisierte das Ur-Christentum, das angeblich »noch nicht ›jüdisch‹ verfälscht [...]« gewesen sei, zu einem »sozialrevolutionären [...] Vorbild für die Gegenwart«. In diesem Manöver erkennt Greiert den Vorläufer gegenwärtiger Gestalten des Populismus.

Schiller, Hans-Ernst: Totale Vergesellschaftung. Kritische Gesellschaftstheorie nach Marx

Ausgehend von Horkheimers Aussage aus dem Jahr 1952: »Wir sind keine Marxisten« und der auch von Adorno vertretenen These vom Ende des Liberalismus untersucht Hans-Ernst Schiller deren Verhältnis zu Marx’ Politischer Ökonomie. Allem voran in ihrer These von der »totalen Vergesellschaftung« weist er wesentliche Kontinuitäten nach, die die Relevanz von Marx’ Theorie nicht nur für die ältere kritische Theorie, sondern auch für zeitgenössische Entwicklungen einer kritischen Gesellschaftstheorie unterstreichen.

Rudolph, Moritz: Kritik der europäischen Einigung nach Max Horkheimer, Theodor W. Adorno und Franz L. Neumann.

Moritz Rudolph setzt sich mit der Bewertung der europäischen Einigung in der kritischen Theorie auseinander. Ausgehend von der Habermas-Streeck-Debatte aus dem Jahre 2013 widmet er sich ausführlich den Positionen von Horkheimer, Adorno und Neumann zum europäischen Einigungsprozess, wobei er die Unterschiede dieser Positionen aus deren geschichtsphilosophischen und politischen Konzepten herleitet und sie zudem in den zeitgeschichtlichen Kontext der politischen Ereignisse stellt.

Klaue, Magnus, Voller, Christian: Schmerzverwandtschaften. Die Tiere der kritischen Theorie

Den SCHWERPUNKT des Hefts – Schmerzverwandtschaften: Die Tiere der kritischen Theorie – skizzieren einleitend die Gastherausgeber Magnus Klaue und Christian Voller.

Schmieder, Falko: Zur Kritik der zweiten Natur. Die Stellung der kritischen Theorie zwischen historischem Materialismus und Philosophischer Anthropologie

Falko Schmieder diskutiert die kritische Theorie historisch wie systematisch im Spannungsfeld zwischen historischem Materialismus und Philosophischer Anthropologie; beide Theorieansätze – für die die Schriften Adornos und Plessners vergleichend herangezogen werden – stellen sich der geschichtlichen Gewalt, die in Unmenschlichkeit mündet. Sie zeigt sich für Plessner schon in der Zurichtung der Tiere. Die gesellschaftskritische Position Adornos geht darüber hinaus: Gerade das als ›unmenschlich‹ definierte und diskreditierte Tier erinnere den Menschen an seine Unmenschlichkeit, die es zu überwinden gilt.

Klaue, Magnus: Stammbaumforschung. Märchen, Kind und Tier in Adornos »Minima Moralia«

Magnus Klaue spürt die erkenntnistheoretische Bedeutung auf, die Kinderund Tierbildern in Adornos Aphorismensammlung Minima Moralia zukommt. Auf einer imaginären Arche versammele Adorno durch Einbildungskraft verwandelte, emblematische Tiere, um verschüttete Möglichkeiten des Menschen festzuhalten. Kindliches Missverstehen und die menschliche Fähigkeit zur Regression sind dabei weniger Gefahr als vielmehr Notwendigkeit intellektueller Erfahrung.

Voller, Christian: Kritische Theorie und Hundehaltung .

In Anlehnung an Walter Benjamins an Kinder gerichtete Wahre Geschichten von Hunden erzählt Christian Voller ›Wahre Geschichten von Hunden und Kritischen Theoretikern‹. Er geht dabei von Anekdoten über Hunde aus, die von unterschiedlichen Vertretern kritischer Theorie überliefert sind, analysiert diese und gelangt zu Reflexionen über den ältesten Begleiter der Menschen, die ihn der natürlichen Evolution entrissen haben, indem sie ihn zähmten und – etwa in Gestalt der Hunderassen – schon in die Matrix des Natürlichen zweite Natur einschrieben.

Zunke, Christine: Von der ›abgefeimten‹ Unterscheidung zwischen Tier und Mensch zur Ideologie ihrer Ähnlichkeit. Wie die Vernunft vor die Hunde geht

Ausgehend von der Annahme, dass Tierschutzorganisationen Tiere häufig als Projektionsfläche benutzen, analysiert Christine Zunke ein Buch von Marco Maurizi, das den Untertitel Kritische Theorie, Marxismus und das Mensch-Tier-Verhältnis trägt. Sie verdeutlicht, dass Maurizis Ziel, die Abschaffung der Naturbeherrschung als Grundform aller Herrschaft, schon theoretisch scheitern muss, weil er mit problematischen Gleichsetzungen operiert, die ihn hinter Kant und Marx zurückfallen lassen.

Friedrich, Thomas, Stederoth, Dirk: Digitale Gesellschaft – Digitale Ökonomie. Ein Literaturbericht

Thomas Friedrich und Dirk Stederoth stellen Neuerscheinungen vor, die sich in kritischer Perspektive mit den aktuellen Entwicklungen der Digitalisierung und ihren gesellschaftlichen und ökonomischen Folgen auseinandersetzen.

Kritische Theorie – Neue Bücher des Jahres 2019 in Auswahl.

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