- Cover ( – 3)
- Inhalt (3 – 5)
- Editorial (5 – 11)
- AUFSÄTZE (11 – 59)
- Wenn die Worte fallen würden … Überlegungen zur Schrift im Film | Michel Chion (11 – 29)
- ›Denn da ist keine Stelle, die dich nicht sieht.‹ MINORITY REPORT und die Kunst als De/Legitimation | Josef Früchtl (29 – 59)
Informationen zum Titel
ZMK Zeitschrift für Medien- und Kulturforschung 4/1/2013: Medienanthropologie
Erscheinungsjahr: 2013Autor: Engell Lorenz,Siegert Bernhard
ISBN: 2366767000041
Beschreibung: Abstracts
Michel Chion: Wenn die Worte fallenwürden ... Überlegungen zur Schrift im Film
Die Schrift ist im Film nicht nur durch Schriftobjekte (z. B. Briefe, Leuchtreklamen, Zeitungen) präsent, die der Diegese angehören. In Vor-und Abspann oder Zwischentitel hat sie vor allem im Stummfilm, aber auch in der Ära des Tonfilms ihren eigenen Raum. Von dort dringt sie bis weilen in den physikalischen Raum des Films ein, mitunter erscheint der Raum des Vorspanns etc. als ›wirklicher‹ Raum. Interessant sind jene Fälle, in denen Buchstaben und Wörter ihrerseits den Gesetzen des physikalischen Raums, Bewegung und Schwerkraft unterworfen zu sein scheinen. Dies führt zu Interferenzen und Paradoxien zwischen zwei inkompatiblen Logiken.
Writing is not only present in film through objects that belong to the diegesis (e. g. letters, neon signs, newspapers). In opening and closing credits as well as in intertitles, writing claims its own space – especially in silent movies, but also in the era of talkies. From there, it sometimes penetrates into the physical space of the film; at times the space of the opening credits appears as ›real‹ space. Especially interesting are those cases in which letters and words seem to be themselves subjected to the laws of physical space, motion and gravity. This leads to interferences and paradoxes between two incompatible logics.
Josef Früchtl: ›Denn da ist keineStelle, die dich nicht sieht.‹ MINORITY REPORT und die Kunst als De/Legitimation
Hegels Beobachtung von der Kunst als tausendäugigem Argus folgend lässt sich unter zeitgenössischen Bedingungen die These aufstellen, dass Kunst und Überwachungsstaat sich nicht zwingend gegenseitig ausschließen, sondern ineinander spiegeln. Der Film minority report bietet dazu als populäres Kunstwerk anschauliche Selbstreflexion. Die leitende Frage ist, ob und inwiefern dieser Film eine Legitimierung oder Delegitimierung der normativen Ordnung leistet.
'Following Hegel’s remark that art is a “thousand-eyed Argos,” one can formulate the assumption that under contemporary conditions art and surveillance state do not necessarily exclude, but reflect each other. The fi lm minority report as popular art off ers a visual self-reflection on this proposition. The central question is whether and to what extend this film performs alegitimization or delegitimization of the normative order.
Anne-Kathrin Reulecke: Die Emergenzvon Wissen und das Plagiat in Goethes wissenschaftstheoretischenSchriften
In Johann Wolfgang von Goethes wissenschaftstheoretischen Texten Der Versuch als Vermittler von Objekt und Subjekt (1793) und Meteore desliterarischen Himmels (1820) geht es um die grundlegende epistemologische Frage, wie Wissen entsteht: Sie fragen danach, wie Wissenschaftler aus den Beobachtungen der Naturphänomene allgemeingültige Erkenntnisse gewinnen können und inwieweit der einzelne Forscher von der wissenschaftlichen Gemeinschaft beeinflusst wird. Goethes Schriften werden hier als Alternativen zu den aktuellen Diskussionen um wissenschaftliche Plagiate − mit ihrer Neigung zur Personalisierung und zum Skandal – vorgestellt. Goethe zeigt, dass die enge Kopplung von Wissen an ein einziges Subjekt weniger der wissenschaftlichen Praxis entspricht, als vielmehr das Ergebnis einer spezifischen Zuschreibungspraxis ist. Das kritikwürdige Plagiat erscheint somit auch als eine logische Konsequenz des Prioritätsgebots der modernen Wissenschaftskultur.
Johann Wolfgang von Goethe’s texts on the philosophy of science Der Versuch als Vermittler von Objekt und Subjekt (The Experiment as Mediator Between Object and Subject, 1793) and Meteore des literarischen Himmels (Meteors of the Literary Sky,1820) both discuss the fundamental epistemological question how knowledge emerges: They ask how scientists can gain universally valid knowledge by observing natural phenomena and to what extent the individual researcher is affected by the scientific community. In this paper, Goethe’s writings are presented as alternatives to the contemporary discussions on scientific plagiarism. Goethe shows that the linking of knowledge to an individual subject is less an effect of scientific practice than the result of a specific practice of attribution. Plagiarism thus appears as a logical consequence of the principle of priority in modern scientific culture.
Anita Möllering und Claus Legge wie Debatte: Transparenz
Die Forderung nach Transparenz gehört zu den zentralen Schlagworten der politischen Gegenwart. Während Anita Möllering die Transparenz-Forderung im Sinne der Piraten-Partei aber vor allem an die politischen Akteure adressiert und auf demokratische Verfahren bezieht, diskutiert Claus Leggewie insbesondere die Kehrseiten dieser basisdemokratischen Forderung. Zentraler Widerspruch ist aus dieser Perspektive die Fixierung der Piraten-Partei auf den gläsernen Staat, während sich die Benutzer sozialer Medien der Intransparenz ihrer privat-kommerziellen Betreiber kaum kritisch stellen.
The call for transparency is one of the main slogans of the political present. While Anita Möllering, following the agenda of the “Piraten-Partei”, mostly addresses the demand for transparency to political actors and relates it to democratic procedures, Claus Legge wie discusses the downsides of this fundamentally democratic demand. From this point of view, the central conflict concerns the fixation of the “Piraten-Partei” on a transparent state, while the users of social media hardly reflect on the intransparency of its private commercial operators in a critical way.
Lorenz Engell: THE BOSS OF IT ALL. Beobachtungen zur Anthropologie der Filmkomödie
Lars v. Triers Film the boss of it all entfaltet die wechselseitigen Konstitutionsverhältnisse zwischen Mensch und Medium und ordnet sich selbst in diese Verhältnisse ein. Die anthropoiden Funktionen, etwa Reflexivität und Selbstverfertigung, werden dabei erwartbar der Person des Autors und ihren metonymischen Figuren zugeschrieben, die instrumentellen, allopoietischen medialen Funktionen dagegen dem Genre der Filmkomödie. Diese Zuschreibung scheitert jedoch. Beide Funktionstypen überlagern einander vielmehr, so dass sie in ein Übertragungsverhältnis treten können und nunmehr das Medium als reflexiv, der Mensch dagegen als Instrument und Effekt erscheint. Indem Mensch und Medium jedoch ihre jeweilig zugeschriebenen Funktionen dennoch behaupten, treiben sie einander unausgesetzt hervor.
Lars von Trier’s film the boss of it all unfolds the mutual constitutional relations between man and medium and re-inserts itself in these relations. As one might expect, the anthropoid features, such as reflexivity and autopoiesis, a reattributed to the personality of the author and its metonymic figures, while the instrumental, allopoietic medial functions, in contrast, are attributed to the genre of comedy. This attribution, however, fails. Rather, both types of functions interfere with each other, so that they can enter into a relationship of transfer; now, the medium appears to be reflexive, while man appears as an instrument and effect. By maintaining their respective functions, however, man and medium constantly produce each other.
Christiane Voss: Der dionysische Schalter. Zur generischen Anthropomedialität des Humors
Humor wird gemeinhin nicht eigens theoretisiert, sondern umstandslos mit dem Komischen und dem Lachen identifiziert. In diesem Aufsatz geht es darum, die Eigenlogik von humoresken Operationen vor dem Hintergrund von Freuds Auslassungen zum Humor herauszuarbeiten und für eine mediale Anthropologie produktiv zu machen. Im Unterschied zu herkömmlichen Anthropologien interessiert sich eine mediale Anthropologie für dieontologisierenden und wirklichkeitskonstituierenden Effekte technisch zu fassender Operationen. Humoreske Operationen sind entsprechend als Techniken der dionysischen Verschaltung von Lust- und Realitätsprinzip neu zu beleuchten.
Usually, humor is not theorized specifically, but identified with the comic and laughter. This paperdeals with the internal logic of humorous operations in the context of Freud’s writings on humor, in order to make them productive for medial anthropology. Unlike conventional anthropologies, medial anthropology is interested in the ontologizing effects of operations that can be understood in a technical way. Correspondingly, humoresque operations are to be studied anew as techniques of the Dionysian connection of pleasure and reality principle.
Astrid Deuber-Mankowsky: MedialeAnthropologie, Spiel und Anthropozentrismuskritik
Die Wissenschaften vom Menschen tragen, wie Foucault überzeugendargumentierte, nicht nur die Gefahr der Anthropologisierung, sondern, gerade aufgrund ihrer epistemischen Instabilität und Hybridität auch das Potential zu deren Kritik in sich. Diese Kritik ist in der gegenwärtigen – im Zeichen der Lebens- und Neurowissenschaftenstattfindenden – Hinwendung zum Menschen als lebendes, empfindendes und affektives Wesen in neuer Weise aktuell. Sie bildet den Ausgangspunkt der hier vorgestellten medialen Anthropologie und deren Fokussierung auf das Medium des Spiels.
As Foucault has argued persuasively, human sciences carry in themselves not only the danger of anthropologization, but, precisely because of their epistemic instability and hybridity, also the potential for its criticism. This criticism is all the more important in the current turn to the human being as living, sentient and affective being, which takes place under the sign of life- and brain-sciences. Thus, it serves as the starting point of the medial anthropology and its focus on the medium of the game that this paper presents.
Cary Wolfe: Animal Studies. Disziplinarität und Post-Humanität
Der Text von Cary Wolfe ist eine gekürzte Übersetzung des Kapitels »Animal Studies«, Disciplinarity, and the (Post) Humanities aus der Monographie What is Posthumanism? (Minnesota 2009). Wolfe diskutiert die Beziehung zwischen (Trans-)Disziplinarität und Posthumanismus im Rückgriff auf Konzepte von Derrida, Foucault und Luhmann, die eine Form von gesellschaftlicher Kommunikation zu denken erlauben, an der menschliche Subjekte zwar noch teilhaben, aber deren souveräne Urheber sie nicht mehr sind.
The paper by Cary Wolfe is an abridged translation of the chapter »Animal Studies«, Disciplinarity, and the (Post)Humanities from the monograph What is Posthumanism?(Minnesota 2009). Wolfe discusses the relation between (trans-)disciplinarity and posthumanism with reference to concepts by Derrida, Foucault and Luhmann, allowing to consider a form of social communication in which human subjects still may participate, but no longer are their sovereign initiators.
Leander Scholz: Der Weltgeist in Texas. Kultur und Technik bei Ernst Kapp
Zwar gilt Ernst Kapp unbestritten als Begründer der Technikphilosophie, allerdings wird sein Konzept der Organprojektion meist lediglich im Hinblick auf die spätere Prothesentheorie rezipiert. Unter dieser anthropologischen Perspektive ist die epistemologische Dimension seines Ansatzes weitestgehend in Vergessenheit geraten, die darin besteht, Technik nicht allein von ihrer Anwendung her zu begreifen, sondern als eine theoretische Praxis zu verstehen. In diesem Sinne konzentriert sich der Aufsatz auf die Rekonstruktion der philosophischen Prämissendes technikphilosophischen Ansatzes bei Ernst Kapp und versucht diesen als eine Modernisierung der aristotelischen Naturphilosophie zu begreifen.
Although Ernst Kapp is unquestionably the founder of the philosophy of technology, his concept of organ projection, however, is usually only received in the view of the later prosthesis theory. In this anthropological perspective, the epistemological dimension of his approach has largely fallen into oblivion, which consists in the attempt to understand technology not only from the viewpoint of its application, but as a theoretical practice. In this sense, the paper focuses on the reconstruction of the philosophical premises of Kapp’s technical-philosophical approach and tries to understand it as a modernization of the Aristotelian philosophy of nature.
Stefan Rieger: Medienanthropologie. Eine Menschenwissenschaft vom Menschen?
Der Text gilt den Aporien der Medienanthropologie. Neben den Debatten um das mediale Apriori, wie sie vor allen die Arbeiten Friedrich Kittlers ausgelöst haben, geraten dabei zwei Dinge in den Blick. Zu meinen die Möglichkeit, die Rede von der technischen Datenverarbeitung nicht nur metaphorisch, sondern der Sache nach auf die Verarbeitungsprozesse des Menschen zu übertragen und so quantifizierbare Kriterien für dessen Leistungsfähigkeit abzuleiten. Zum anderen wird in der Abwendung von einer spezifisch deutschen Medienwissenschaft gerade in der aktuellen internationalen Diskussion ein Medienbegriff etabliert, der in seiner pluralen Ausrichtung Bezugnahmen etwa auch zur Biologie erlaubt (BioMedia).
The paper is devoted to the aporias of medial anthropology. In addition to the debates about the medial a priori, as initiated primarily by the works of Friedrich Kittler, two things come into view: On the one hand, the possibility to apply the notion of technical data processing to human processes not only in a metaphorical, but also in a literal way, in order to derive quantifiable criteria for their performance; on the other hand, the turn away from specifically German media studies in the ongoing international discussion establishes a notion of media that, thanks to its pluralistic orientation, allows references to other fields of study, e.g. to biology (biomedia).