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Moderne Mythographien und die Krise der Zivilisation

Pier Paolo Pasolinis Medea


Zurück zum Heft: Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft Band 51. Heft 2
DOI: https://doi.org/10.28937/1000107604
EUR 14,90


Im Verlauf seiner Rezeption hat der Medea-Mythos kontinuierlich einen wichtigen Stellenwert in der Reflexion des zivilisatorischen Krisenbewußtseins eingenommen. Dieser Prozeß kulminiert in der Moderne, innerhalb derer die Medea-Version von Pier Paolo Pasolini einen exzeptionellen Stellenwert einnimmt. Pasolinis umsichtige und vielschichtige Cinematopoetik kombiniert den antiken Mythos mit religionswissenschaftlichen Quellen und enttarnt dabei den Begriff des gesellschaftlich ›Natürlichen‹ als ideologische Setzung. Der Ideologie des vorgeblich Natürlichen setzt die pasolinische Medea eine ethnoästhetische Mythographie entgegen, die vor allem das Postulat des zivilisatorischen Fortschritts anzweifelt. Die Rehabilitierung des sakralen Mythos kann in der Moderne zwar nurmehr scheinhaft stattfinden. Doch ist es eben die Fiktion der Mythopoiesis, welche ihr in der modernen Welt einen (wenn auch imaginären) Sinnzusammenhang garantiert.

In the history of its reception, the myth of Medea has always been of prime importance for reflections on an awareness of civilization crisis. This process culminates in the modern age, and especially so with Pier Paolo Pasolini’s exceptionally significant version of the Medea story. Pasolini’s far-seeing and complex poetics of cinema combines the ancient myth with sources drawn from the history of religions and thereby exposes the concept of social naturalness as ideologically posited. Against an ideology of the allegedly natural, his „Medea“ brings to bear an ethnoaesthetic mythography, which casts doubt on the postulate of the progress of civilization. To be sure, in the context of modernism, a rehabilitation of religious myth is impossible except in a mode of aesthetic illusion. But it is the fiction of ›mythopoiesis‹ which assures that such an enterprise can make sense, if only in an imaginary way.